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Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Titel: Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)
Autoren: Benedikt Herles
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Business Case gestellt, der bearbeitet werden sollte, während die meisten Betreuer schliefen oder sich womöglich betranken. Jeden Morgen um Punkt acht mussten wir unsere fertigen Ergebnisse präsentieren. Wer zu spät kam, durfte am nächsten Tag noch früher raus und beim Nachsitzen Besserung geloben.
    Kurze Unterbrechungen boten nur die sozialen Aktivitäten. Das Training vereinte Elemente von Robinson Club und US -Marines-Ausbildungslager. Vom Tanzwettbewerb über Schnitzeljagden bis hin zum kollektiven Bad im eisigen Ozean wurde alles unternommen, um die emotionale Firmen-Zugehörigkeit zu stärken. Gute Laune war Programm. Am Morgen des ersten Tages, zum sogenannten Kick-off, versammelten wir uns im großen Ballsaal. Dann ging das Licht aus, und die ersten Takte von Martin Solveigs Hello ertönten in Disko-Lautstärke. Die Eröffnungsfeier begann. Mit kleinen Heimatfahnen in der Hand liefen die Ausbilder ein. Die Menge jubelte. Party um acht Uhr morgens. Die Trainer waren Lehrer, Schleifer und Animateure zugleich. Als Höhepunkt des Programms wurde ein altgedienter Partner eingeflogen, um uns in einem abendlichen Vortrag Anekdoten von den großen Momenten in der glorreichen Geschichte der Firma zu erzählen. Wir Anfänger lauschten voller Ehrfurcht. Es war die feierliche Aufnahme in eine eingeschworene Familie.
    Die meisten Trainingsteilnehmer entwickelten einen enormen Ehrgeiz in allen Disziplinen. Zwar gab es für die Bearbeitung der Fallstudien weder eine offizielle Benotung, noch waren die Leistungen in irgendeiner Weise relevant für Beförderungen oder Bonuszahlungen. Doch junge Berater lieben den Wettkampf – egal, um was es geht. Und so wurden noch nachts um drei die Diagramme bis zur Perfektion formatiert und eine PowerPoint-Folie nach der anderen produziert. Und selbst bei Tanzwettbewerben und Schnitzeljagden ging es darum, Punkte zu sammeln, schneller, mutiger oder lauter zu sein als die anderen.
    »Dieses Training ist nicht für jedermann«, gab die Camp-Vorsteherin offen zu. Damit hatte sie recht. Ziel der Veranstaltung war und ist es, die jungen und meist frisch von der Uni kommenden Beratungsrekruten abzuhärten. Trotz Schlafmangel wurde Müdigkeit nicht geduldet. Nachdem mir während einer nachmittäglichen Session die Augen zugefallen waren, wurde ich zur Trainings-Leitung geschickt, um mich zu erklären. Dort erhielt ich eine klare Message: Da draußen kann es noch viel schlimmer werden. Also reiß dich zusammen!
    Freie Tage gab es weder vor noch nach dem Einsteigerseminar. Hat man das Training überstanden, geht es im Projektalltag erst richtig los. Als ich nach zwei Wochen mit nicht mehr als durchschnittlich viereinhalb Stunden Schlaf an einem Montagmorgen wieder in München landete, hatte ich ein knappes Dutzend frische Mails meines Projektleiters auf dem Blackberry. Es waren keine »Schön, dass du wieder da bist«-Nachrichten. In wenigen Stunden startete in Stuttgart ein wichtiges Meeting. Willkommen im Hamsterrad.
    Ein verlockendes Angebot
    Der Einstieg ins Management verläuft völlig anders als erträumt. Schier unendlich schienen mir an der Uni die Möglichkeiten, die auf mich warteten. Als Student war ich ein heiß umworbener Kandidat der Personalabteilungen. »Building Global Leaders« oder »Denken ist Handeln« lauten die Slogans, mit denen die Firmen um Nachwuchs buhlen. Bei uns werden Sie zur visionären Führungspersönlichkeit ausgebildet, ist die Botschaft fast überall. »Erobern Sie die Welt«, schreibt Booz & Company, »mit guten Argumenten, Integrität und Persönlichkeit.« Wer will da nicht gleich loslegen?
    Viel wird unternommen, um die potentiellen Neueinsteiger zu umgarnen: Das Beratungshaus A.T. Kearney lud meine Kommilitonen und mich zum herbstlichen Enten-Essen in eine Münchner Nobelgaststätte. Boston Consulting veranstaltete einen mittelalterlichen Festschmaus auf einer Ritterburg nahe Koblenz. Die Investmentbank J.P. Morgan lockte mit einer Woche Banking-Schnupperkurs in Frankfurt und London.
    In den Metropolen Europas werden aufwendige Recruiting-Workshops abgehalten. Letztes Jahr bat Booz & Company zur »Strategiekonferenz 2012« nach Stockholm, McKinsey & Company zum »Eintauchen 2012« nach Lissabon, Bain & Company zum Seminar »Retail-Strategie für Emerging Markets« nach Istanbul. Mitgenommen werden nur die aussichtsreichsten Kandidaten. In Luxushotels und schicken Büros lernen die Teilnehmer beim Lösen strategischer Gruppenaufgaben die Welt der
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