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Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Titel: Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)
Autoren: Benedikt Herles
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Arbeitszeiten bis tief in die Nacht sind vollkommen üblich. Die Work-Life-Balance ist das am heißesten diskutierte Thema, wenn es auf einen neuen Case geht. Wer Glück hat, kommt mit knapp 70 Stunden in der Woche davon.
    Ein derartiger Alltag geht nicht spurlos am menschlichen Körper vorbei. Partner sehen oft zehn Jahre älter aus, als sie tatsächlich sind. Immerhin machen ergraute Haare und Falten einen seriösen Eindruck. Der lässt sich teuer verkaufen.
    Mehrere Faktoren befördern nach meiner Beobachtung die inhumanen Arbeitsbedingungen. Die Unternehmensberatung ist ein Dienstleistungsgewerbe. Sonderanfragen und Ad-hoc-Analysen über Nacht sind an der Tagesordnung. Doch die Extraschichten sind nicht nur einem stark ausgeprägtem Service-Gedanken geschuldet. Tatsächlich ist der Wettbewerb in der Beratungsbranche so groß, dass Partnern und Projektleitern gar nichts anderes übrig bleibt, als Kunden jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Bei jedem Mandat liegen mindestens vier andere Konkurrenten auf der Lauer, die das gleiche Produkt in ähnlicher Qualität und nicht selten zu einem günstigeren Preis liefern können.
    Der Hauptunterschied zwischen Roland Berger, Bain, Boston Consulting, McKinsey und anderen großen Anbietern ist letztlich nur der Name. Wie kann es auch anders sein in einer Industrie, deren einziges Produkt PowerPoint-Folien sind? Vergeblich versuchen die verschiedenen Anbieter, Alleinstellungsmerkmale zu erfinden. Bain & Company beispielsweise beschreibt sich selbst als ergebnis- und umsetzungsorientiert. Die Boston Consulting Group stellt die große Kreativität und Intellektualität ihrer Berater in den Vordergrund. McKinsey behauptet, das größte Wissen in fast jeder Industrie zu haben. Vergebliche Liebesmüh. Erfahrene Kunden wissen sicherlich, dass es kaum Unterschiede gibt.
    Die Angst vor dem Wettbewerb macht Berater zu Prostituierten der Management-Etagen. Mein zweites Projekt hatte meine Firma in einer Ausschreibung gewonnen. Dabei waren die bisherigen Haus- und Hofberater des Kunden leer ausgegangen. Im Stillen versuchten sie wohl die Vorstände und wichtigen Entscheider dennoch weiter zu beeinflussen. Sie boten ihre Dienste angeblich sogar kostenlos an. Das setzte uns unter Druck. Sobald der Klient in Meetings auch nur ein entferntes allgemeines Interesse an einem bestimmten Thema äußerte, versprachen meine Chefs eine komplette Analyse innerhalb der nächsten Stunden. Und wenn der Partner dem Projektleiter einen halben Tag gab, um eine Frage zu beantworten, leitete der die Anfrage an einen rangniedrigeren Berater weiter und forderte eine Bearbeitung in nur zwei Stunden. So potenzierte sich der Zeitdruck auf jeder Hierarchiestufe. Eines Tages kam einer unserer »Vice Presidents« in den Teamraum und verkündete nur halb im Scherz: Die anderen haben letztes Jahr mehrere Hundert Seiten Analysen produziert. Bei uns müssen es mindestens 1000 werden!
    Heiß umworben und doch austauschbar
    »Du bist ›beschäftigt‹, wenn du unter der Woche jeden Tag mindestens 16 Stunden arbeitest und noch mal mindestens 16 am Wochenende. Damit ist die reine Arbeitszeit gemeint – nicht Reisen, Gequatsche oder Essenspausen. Sollten dies nicht deine Bürozeiten sein, hast du noch Kapazität, mehr Aufgaben zu übernehmen.«
    Diese Zeilen könnten von einem meiner Projektleiter stammen. Doch die fragwürdige Definition von »beschäftigt« entstammt einer internen E-Mail an das Personal der legendären Donaldson, Lufkin & Jenrette Investmentbank aus dem Jahr 1994. Unmissverständlich sollte den Angestellten klargemacht werden, dass weniger als 16 Stunden Arbeit pro Tag und Wochenende eine nicht akzeptable Form der Faulheit darstelle. 69
    Ein entfremdender Arbeitsstil herrscht nicht nur in Unternehmensberatungen. Die Knochentour der Nachwuchs-Analysten in den Wall-Street-Banken ist ebenso legendär wie die der frisch examinierten Anwälte in den großen Wirtschaftskanzleien. In den ersten Jahren nach dem Uniabschluss sind Berater, Banker und Anwälte nichts weiter als menschlicher Rohstoff, eine teure Ressource, die sich durch 80-Stunden-Wochen amortisieren muss. High Potentials sind heiß umworben und doch austauschbar wie Fässer Öl. Die Millionen, die die Partner oben verdienen, werden unten mit der Peitsche eingetrieben. Ganz wenige profitieren vom Schweiß ganz vieler. Dieses kapitalistische Grundprinzip wird Neulingen schnell klargemacht. Ich musste lernen: Die hohen Einstiegsgehälter, mit
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