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Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)

Titel: Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)
Autoren: Benedikt Herles
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Häppchen und gekühlten Getränken nicht versiegte. Viel mehr nicht. Anschließend war meine Arbeit getan. Es war der persönliche Höhepunkt meiner Beraterkarriere.
    Nach jedem Projekt, also ungefähr alle drei Monate schreiben die Vorgesetzten interne Arbeitszeugnisse. Die Ergebnisse werden zweimal im Jahr zusammengefasst. Dieses »Summary« ist dann entscheidend für Bonus und Beförderung. Was in der Firma als gerechtes System gilt (meine Chefs bezeichneten es als »meritokratisch«), ist meines Erachtens ein unflexibler Selektionsmechanismus. Individuelle Fähigkeiten zählen nicht. Stattdessen wird überprüft, wer in die starren Anforderungs-Schablonen des Unternehmens passt. Bei wem das nicht der Fall ist, der darf gehen. »Up or out«, aufsteigen oder gehen, heißt das bekannte Prinzip. Die Pyramide ist steil.
    Die jungen Berater werden letztlich vor allem daran gemessen, ob sie ohne Murren abliefern, was von ihnen verlangt wird. Soziale Kompetenz ist natürlich theoretisch ein Bewertungskriterium, doch praktisch nicht wirklich gefragt. Vor allem Genauigkeit und Detailversessenheit sind entscheidend. Vorgesetzte sollen sich auf ihre menschlichen Taschenrechner verlassen können. Bloß keinen Fehler machen! Dieses Prinzip wurde uns von Tag eins an eingebläut. Wer nächtelang Zahlen drehen kann, ohne dabei den Überblick zu verlieren, wird belohnt. Wer damit Probleme hat, muss sich bald einen neuen Job suchen.
    Nach einem halben Jahr machte sich bei mir eine ernüchternde Erkenntnis breit: Wissen über die Wirtschaft ist in der Wirtschaft selbst, oder zumindest in der Unternehmensberatung, kaum gefragt. Klar, dass sich der Job mit einem Abschluss in Physik oder Ethnologie genauso gut erledigen lässt wie mit einem in BWL . Wer nicht gerade Professor, Anlagestratege oder Finanzjournalist werden will, braucht sich kein Wirtschaftsstudium anzutun. Die Biografien meiner Mitstreiter lasen sich wie die Liste der angesehensten Universitäten. Doch akademische Bildung war kaum etwas wert. Die Branche betreibt eine unvorstellbare Verschwendung von Talent.
    Willkommen im Hamsterrad
    Wer sich trotz allem für einen Start in der Beratungsbranche entscheidet, dem blühen nicht nur stupide Tätigkeiten, sondern vor allem ein hartes Leben. Meine Arbeitswoche begann montags um vier Uhr in der Früh. Da klingelte der Wecker, und die Reise zum Kunden begann. Montagmittag fühlte sich bereits wie Freitagabend an. Jeden Tag um 18 Uhr war es Zeit für den sogenannten Battle Call: Eine mehr oder weniger kurze Sitzung, in der das Projektteam besprach, welche Aufgaben noch am selben Tag zu bewältigen seien. Eigentlich gedacht zur Kontrolle von Arbeitszeiten, bewirkte der Battle Call genau das Gegenteil. Meist wurden mir und meinen Kollegen noch so viele To-dos aufgebrummt, dass ein Feierabend vor 23 Uhr zur Ausnahme wurde. Ein Projektleiter sagte einmal zu einer Kollegin: »Es ist noch nicht einmal 0 Uhr. Wir verkaufen Beratertage, und die haben bei mir 24 Stunden!« Wenn ich am Montagabend das Licht ausschaltete, war ich meistens schon mehr als 20 Stunden auf den Beinen.
    Tagsüber schufteten wir oft in Teamräumen, die von normalen Arbeitsbedingungen weit entfernt waren. Sechs Kollegen in einem Zimmer für maximal drei waren keine Seltenheit. Unsere beengten Verhältnisse waren Ausdruck einer gespielten Bescheidenheit, die meine Chefs bei jedem Kunden an den Tag legten. Wir akzeptierten alles. Abends ging die Arbeit im Hotel weiter. Der Room-Service war der Höhepunkt unserer tristen Tage. Es wurde erwartet, dass man – selbst wenn alle Arbeit erledigt war – bis mindestens Mitternacht erreichbar war. Als ich einmal um halb zwölf mein Handy ausgeschaltet hatte, wurde mir von meinem Projektleiter am nächsten Morgen ein »Attitude Problem« vorgeworfen. Nur die sogenannten Office Fridays boten tatsächlich freie Abende.
    Arbeiten bis zur Schmerzgrenze ist Teil des Konzepts. Eine Mitarbeiterin der Personalabteilung gab mir gegenüber ganz offen zu, dass es bei manchen Mandaten einfach nötig sei, Berater auch mal 18 Stunden am Tag einsetzen zu können. Ich frage mich: Was ist das bitte für ein Geschäftsmodell? Meine Kollegen erzählten die wildesten Geschichten über Projekte, bei denen die Dienstzeiten völlig außer Kontrolle geraten waren. Bei einem legendären Auftrag in der Finanzindustrie waren die engen Deadlines wohl nur noch mit Hilfe eines 24-Stunden-Betriebs und nächtlichen Schichtdiensten einzuhalten gewesen.
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