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Die Jungfrau im Lavendel

Titel: Die Jungfrau im Lavendel
Autoren: Danella Utta
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der Oberin ein kurzes Gespräch geführt hatte – genau wie in ihren regelmäßigen Berichten ließ sie ihn wissen, man sei mit Virginia sehr zufrieden, sie sei gehorsam, fleißig und fromm, ihre schulischen Leistungen seien zufriedenstellend –, hatte er mit dem Mädchen das Kloster verlassen. Das, was er eigentlich mit der Oberin hatte besprechen wollen, war ungesagt geblieben. Man erledigte es besser brieflich.
    Mit andächtiger Miene war Virginia in den Mercedes geklettert und hatte die kurze Fahrt von der Anhöhe am Wald, wo das Kloster lag, bis hinunter in den Ort sehr genossen.
    Es war noch früh am Nachmittag, sie saßen zunächst fast allein auf der Terrasse des Gasthofs, doch nach und nach füllte sie sich, die Mehlspeisen des Hauses waren berühmt, und die Sommergäste aus der Umgebung kamen gern zur Jause herauf.
    Virginia spürte die Kette am Hals, deren Kühle sich auf ihrer Haut zu erwärmen begann, sie hätte gern in einen Spiegel geschaut, aber dazu hätte sie aufstehen und ins Haus gehen müssen. Bei dieser Gelegenheit könnte sie auch ein wenig Lippenrot auflegen, Sabines Lippenstift lag in ihrem Handtäschchen.
    Der Oberst räusperte sich noch einmal und wußte nicht, was er sagen sollte. Glücklicherweise kamen der Kaffee und Virginias Kuchen, ein mächtiges Stück Nußtorte mit Schlagobers, und so waren sie zunächst einmal beschäftigt. Der Oberst aß keinen Kuchen, zündete sich statt dessen eine Zigarre an, was für ihn auch nicht bekömmlich war, er hatte Magengeschwüre, und in letzter Zeit war Essen für ihn zur Qual geworden. Die vorgeschriebene Diät widerte ihn an; das einzige, was die Schmerzen betäuben konnte, waren Alkohol und Zigarren.
    Er aß zuwenig, er trank zuviel. Früher hatte er nicht getrunken, aber jetzt suchte er Betäubung. Denn nur nach außen hin erschien sein Leben geordnet, zufriedenstellend, ein Mann mit einer anständigen Familie, mit Geld und Besitz.
    Es war nicht sein Besitz, nicht sein Geld, und schon gar nicht seine Familie. Seine Frau hatte es immer verstanden, ihn das spüren zu lassen, und er war ihrer so müde, so wie er bei allem, was zu ihr gehörte, nur noch Müdigkeit, Überdruß empfand. Er war einsam, aber es machte ihm nichts aus. Schon lange nicht mehr. Er war siebzig. Und er hatte eigentlich genug.
    Selbst dieses Mädchen gehörte nicht zu ihm, auch wenn es seinen Namen trug. Es war nicht seine Tochter, und es bestand kein Grund, sie mit Wohlwollen zu betrachten. Das mit der Kette war so ein plötzlicher Einfall gewesen, er hatte das Schmuckstück, dies letzte Andenken an seine Mutter, lange nicht mehr in der Hand gehabt. Seine Mutter hatte er geliebt, und sie ihn, auch wenn er ihr oft Anlaß gegeben hatte, unzufrieden mit ihm zu sein.
    Eigentlich hatte er die Kette nur mitgenommen, um Mechthild zu ärgern.
    »Du willst diesen Wechselbalg wirklich besuchen?« hatte sie gehässig gefragt.
    »Ich denke, daß es meine Pflicht wäre«, war seine steife Erwiderung gewesen.
    »Ich würde sagen, du tust mehr als deine Pflicht. Sie bekommt eine erstklassige Erziehung, die wir schließlich bezahlen.«
    »Die ich bezahle.«
    Sie lachte höhnisch.
    »Von deiner Pension, ich weiß. Dafür wird ja dein sonstiger Aufwand von mir bestritten.«
    Das war so einer der Momente, wo sich der Magen in ihm aufzubäumen schien, wo er meinte, sein Gesicht müsse gelb werden wie eine Zitrone, und gleichzeitig hatte er das entsetzliche Verständnis dafür, wie man einen Mord begehen konnte.
    »Aber wenn du schon hinfährst«, fuhr seine Frau ungerührt fort, »könntest du ja mit der Oberin mal darüber sprechen, wie es weitergehen soll. Du weißt ja, was ich meine.«
    Er wußte, was sie meinte. Denn davon hatten sie schon gesprochen.
    Was sollte aus Virginia werden, wenn sie in einem Jahr die Schule verließ? Mechthild lehnte es natürlich ab, diese sogenannte Tochter, wie sie sich ausdrückte, in ihrem Haus aufzunehmen. Und auch noch eine Ausbildung für sie zu bezahlen, das ginge wohl zu weit, fand sie.
    Von dieser Seite aus betrachtet, war es also von Vorteil, daß sie in die Klosterschule ging, es bot sich von selbst an, daß man sie dort gleich behielt. Nachwuchs brauchten sie bestimmt, und das Mädchen war dann sicher untergebracht und würde aus ihrem Leben verschwinden. Ein für allemal. Und falls sie das Wesen und den Charakter ihrer Mutter geerbt hatte, so weiter Mechthild Stettenburg – den Doppelnamen zu führen, hatte sie stets abgelehnt –, dann war
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