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Die Jungfrau im Lavendel

Titel: Die Jungfrau im Lavendel
Autoren: Danella Utta
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dich nicht einsperren. Und laß dir von dieser blöden Anna-Luisa das Leben nicht verdüstern. Du bist ohnehin viel zu schwermütig. Kümmere dich nicht um ihr Gerede.«
    Das war leicht gesagt. Anna-Luisa redete viel und immer nur über unerfreuliche Dinge: über die Sinnlosigkeit des Daseins und die ewige Verdammnis, die ihnen ohnehin sicher sei, über alle Krankheiten, die es gab und die man bestimmt bekommen würde, über den Weltuntergang, die Schlechtigkeit der Menschen und die unbegreifliche Ungerechtigkeit Gottes. Letzteres bereute sie dann wieder in langwierigen Beichten bei Pater Vitus in der Klosterkirche und legte sich selbst so strenge Bußübungen auf, wie sie dem gutmütigen Pater im Traum nicht eingefallen wären.
    Kein Grund also, den Ferien und dem kurz auf deren Beginn folgenden Geburtstag mit großen Erwartungen entgegenzusehen. Nach der Messe ein Händedruck der Oberin und ein paar freundliche Worte von Pater Vitus, beim Frühstücksgedeck ein kleiner runder Kuchen und ein bescheidenes Sträußchen aus dem Klostergarten. Von Teresa würde sicher kein Brief kommen, sie war ja auch gerade erst in Italien angekommen, mitten in den Familientrubel hinein, und sie würde Virginias Geburtstag bestimmt vergessen. Warum auch nicht, dachte Virginia bitter, ich bin hier gerade gut genug für sie. Aber sonst? Sonst braucht sie mich wirklich nicht. Keiner braucht mich. Niemand hat mich lieb. Am besten wäre ich gar nicht geboren.
    Jedoch am Tag zuvor, beim Abendessen, sagte Schwester Serena: »Heute hat dein Vater angerufen, Virginia. Er kommt morgen im Laufe des Tages.«
    Zuerst erschrak Virginia, wie immer, wenn etwas Unerwartetes geschah. Das zweite Gefühl war Angst, die sie ihrem Vater gegenüber immer empfand, doch dann meldete sich tief innen eine zitternde Freude.
    Er würde kommen. Der einzige Mensch auf dieser Welt, der zu ihr gehörte, ihr Vater, würde kommen. Sie würde an ihrem Geburtstag nicht allein sein.
    In der Nacht konnte sie vor Aufregung kaum schlafen, und am Morgen stand sie noch früher auf als gewöhnlich, hatte den Waschraum ganz für sich allein und betrachtete lange und prüfend ihr Gesicht in dem kleinen Spiegel.
    Ob sie ihm ein wenig gefallen würde? Es war drei Jahre her, seit er sie zum letztenmal gesehen hatte, und damals war sie ihrer Meinung nach noch ein dummes Kind gewesen. Aber nun war sie erwachsen, und allein der Umgang mit Teresa hatte sie um vieles reifer und erfahrener gemacht.
    Wenn sie doch nur schön wäre! Vielleicht würde ihr Vater sie dann liebevoller ansehen. Sie vergaß nie die Bemerkung, diese einzige Bemerkung, die er je über ihre Mutter gemacht hatte. Er hatte nie über sie gesprochen. Jede schüchterne Frage von ihr war so abweisender Kälte begegnet, daß ihr das Wort im Hals steckenblieb. Und sie hatte dann auch nichts mehr gesagt, weil sie glaubte, daß der Schmerz über den frühen Tod der Mutter schuld daran sei, es ihm einfach unmöglich mache, von ihr zu sprechen.
    Aber es war so lange her, und schließlich hatte er ja wieder geheiratet. Warum konnte er denn nicht zu ihr ein einziges Mal über ihre Mutter sprechen? Bei seinem letzten Besuch vor drei Jahren hatte sie sich ein Herz gefaßt und gefragt, unsicher und stockend.
    »Ich meine nur … wie … wie war sie denn? Bin ich ihr ähnlich?« Ihr Vater hatte sie angesehen, doch sein Blick war leer gewesen, ging durch sie hindurch.
    Schließlich sagte er: »Sie war sehr schön.«
    Dieser knappe Satz hatte Virginia viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Um so mehr, als er aus dem Mund ihres Vaters höchst befremdlich klang. Jede andere Charakterisierung der Toten wäre von ihm zu erwarten gewesen, aber nicht dies – sie war sehr schön.
    Als er sich an der Klosterpforte von ihr verabschiedete, wagte sie noch eine Frage.
    »Du hast – kein Bild von ihr?«
    »Nein.«
    Nichts weiter. Ein kurzes hartes Nein, das jede weitere Frage verbot.
    Sehr schön also. Virginia stand vor dem Spiegelchen und runzelte bekümmert die Stirn. Schön war sie gar nicht. Als sie einmal zu Teresa davon sprach, hatte die gelacht und gesagt: »Du machst dir unnötige Sorgen, cara. Ich finde dich sehr reizvoll. Du hast so etwas Rührendes, du siehst aus wie die Unschuld persönlich. Große ahnungslose Kinderaugen. Dazu ist dein Mund ein höchst interessanter Gegensatz, deine Unterlippe ist geradezu sinnlich.«
    Solche Sachen sagte Teresa, die weder so ahnungslos noch so unschuldig war, wie es dem Ort und der Erziehung der
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