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Die Jungfrau im Lavendel

Titel: Die Jungfrau im Lavendel
Autoren: Danella Utta
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das Kloster genau der passende Ort. Man konnte sie dort als Schulschwester oder sonst irgend etwas ausbilden, da gab es sicher mehrere Möglichkeiten. Auf jeden Fall wäre dann das Problem Virginia gelöst.
    Mechthild hatte keine Ahnung vom Klosterwesen, und auch der hervorragende Unterricht, den die durch Studium ausgebildeten Schwestern dort erteilten, interessierte sie nicht. Sie wollte das Mädchen los sein. Denn, wie sie klarsichtig voraussah, ihr Mann würde sowieso nicht mehr lange leben.
    Sie hielt sein Magenleiden für Krebs, und am Ende kam es dann noch darauf hinaus, daß sie für diesen Bastard aufkommen mußte.
    »Also vergiß nicht, mit der Oberin zu sprechen«, war ihr Abschiedswort gewesen.
    Er hatte es nicht getan. Wie sollte er davon sprechen? Sie lebten nicht mehr im Mittelalter, wo man ein Mädchen einfach für das Kloster bestimmte, ohne es zu fragen. Und da war auch noch der Brief in seiner Tasche. Davon wußte Mechthild nichts. Und natürlich war es seine Pflicht, ja, verdammt, genau das, mit Virginia über diesen Brief zu sprechen. Das war viel wichtiger als das Gespräch mit der Oberin. Nur wußte er nicht, was er sagen sollte, wie man solch ein Gespräch begann. Eine Mauer einzureißen, die achtzehn Jahre alt und um das zehnfache dick war, bedeutete für einen Mann seiner Art keine Kleinigkeit.
    Er konnte den Brief auch zerreißen, genau wie er die anderen zerrissen hatte.
    Als er dem Mädchen jetzt gegenübersaß, suchte er nach Ähnlichkeiten mit jener Frau, die es geboren hatte und die einmal seine Frau gewesen war.
    Von Anitas aparter, verführerischer Schönheit besaß dieses Kind nichts. Das Haar war blasser, nicht von so leuchtendem Gold. Der Mund – nun ja, der Mund ähnelte ein wenig Anitas Mund, auch wenn er noch kindlich ungeprägt war. Die Form des Gesichtes jedoch, schmal, mit den hohen Backenknochen und den Schatten auf den Wangen, erinnerte sehr genau an Anitas Gesicht. Die Augen? Ihre Augen waren grün gewesen, sie konnten funkeln und leuchten und locken …
    Was für idiotische Gedanken! Er sog heftig an seiner Zigarre, trank seinen Kaffee aus, dann sprach er das Mädchen an, damit es ihn ansah.
    »Schmeckt der Kuchen?«
    »O ja, danke, sehr gut.«
    Die Augen waren grau. Mit einem leichten Grünschimmer darin, doch, das schon. Es waren die Augen eines unschuldigen Kindes. Ein Kind, das man büßen ließ. Wofür denn eigentlich? Was hatte es denn verbrochen? Es war geboren worden. Das war sein ganzes Verbrechen.
    Wie er da so saß, der Oberst a.D. Ferdinand Stettenburg-von Maray, mitten in der warmen Sommersonne, vor sich eine Wiese in tiefem Grün, unter der Terrasse leuchtend bunte Sommerblumen, und dazu die Luft wie reiner Balsam, über ihnen der Wald, und dahinter die Berge, wie er da so saß, der Oberst, den niemand liebte und der keinen lieben durfte, da fühlte er sich alt und zutiefst elend, so verlassen von Gott und allen Menschen, daß es ihn die ganze, ein Leben lang geübte Beherrschung kostete, nicht einfach aufzustehen, wegzugehen, ganz egal wohin, und nie zurückzukehren. Zurück? Wohin denn? Zu wem?
    »Du könntest ja noch ein Stück essen«, sagte er mühsam. »Oder einen anderen versuchen.«
    Ebenso mühsam gelang Virginias Lächeln. Er behandelte sie immer noch wie ein Kind. Ein Kind, das man mit Kuchen füttert, damit es zufrieden ist.
    Trotz der Kette und der Freude über seinen Besuch erfüllte Traurigkeit ihr Herz. Sie war nun erwachsen, und sie wollte anderes von ihm als ein Stück Kuchen und noch ein Stück Kuchen. Sie würde es nicht bekommen, auch diesmal nicht, das hatte sie schon begriffen. Er hatte sie nicht lieb, kein bißchen. Wenn sie nur begriffe, warum das so war.
    Er könnte viel eher mein Großvater sein als mein Vater, dachte sie auf einmal. War meine Mutter viel jünger als er? War sie auch schon älter, als ich geboren wurde, starb sie bei meiner Geburt? Ist es das, was er mir nicht verzeihen kann, daß ich geboren wurde und sie tötete? Diese Gedanken waren ihr noch nie gekommen. Aber sie war nun alt genug, um darüber nachzudenken. Als sie klein war und bei ihrer Großmutter lebte, hatte sie die Situation als gegeben hingenommen, hatte niemals Fragen gestellt. Dann hatte sie einige Jahre in einer Privatschule verbracht, dort war es eigentlich sehr nett gewesen, sie kam mit Kindern zusammen, sie hatten Unterricht, aber es gab viel Spaß, sie machten Ausflüge, sie lernte schwimmen, sie war eine gute Turnerin, alle waren lieb und
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