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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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es sei denn, er braucht dich gerade. Und wie unwichtig sind andere für mich, es sei denn, ich brauch sie gerade. Ute und ich brauchen einander. Aber trotzdem – und jetzt kann ich endlich sagen, warum ich hier eingedrungen bin –, trotzdem haben wir Sie gebraucht! Ute ist, seit sie Sie kennengelernt hat, eine andere geworden. Ich will gar nicht versuchen, das zu beschreiben. Wir sind seit Jahren für unsere Zukunft verabredet. Wir haben ein paar Hoffnungen gemeinsam. Wir wissen, was wir wollen und was wir keineswegs wollen. Wir wollen zum Beispiel nicht spießig werden. Uns ist beiden nichts so grauenhaft wie Spießertum. Und so weiter. Aber durch Sie, Herr Professor, ist Ute, wie soll ich das ausdrücken, es ist wie ein Schub, ja, Sie waren für Ute ein Schub. Motorenmäßig gesagt: Sie sind für Ute Turbo. Sie hat jeden Tag von Ihnen erzählt. Von fünf bis acht sind wir ja jeden Tag zusammen. Ich komme um fünf heim, sie muss um acht weg. Aber in den drei Stunden war fast nur noch von Ihnen die Rede. Ich war schon drauf und dran, eifersüchtig zu werden. Aber Ute hat mir klargemacht, dass ich in einer anderen Liga spiele als Sie. Wir sind sozusagen unvergleichlich, Sie und ich. Sie sind ein … ein – ein Wesen aus einer anderen Welt. Klar. Ich war noch nie in einem Theater. Außer einmal. Ein Musical. Ich darf mich bei Ihnen bedanken. Ute ist freier geworden durch Sie. Ohne dass ich das jetzt mit Worten oder Handlungen belegen will. Sie hat ein paar Sätze gesagt, die sie früher nicht gesagt hätte. Egal, ob ich diesen Sätzen zustimme oder nicht. Mich haben sie beeindruckt, diese Sätze. Zum Beispiel: Schranken errichten ist wichtiger, als sie einzureißen. Ich bin fürs Materielle, Ute fürs Geistige. In meinen Wacker- und Mercedes-Aktien wächst unsere Zukunft. Dass ich gerade auf die winterliche Yen-Schwäche gewettet und im Handumdrehen zwanzigtausend Euro verdient habe, muss ich, weil’s im Moment passiert ist, ausplaudern. Autarkie! Aber dass Ute einmal im Monat in die Oper muss, gehört auch dazu. Ich wart immer im Franziskaner, bis es aus ist. Sie ist dann immer ganz … ganz high. Sozusagen. Aber Sie haben ihr das Theater erschlossen. Sie will in Zukunft einmal im Monat ins Theater. Vor allem in dieses Stück, ich komm jetzt nicht auf den Namen.
    Die Möwe.
    Ja. Die Möwe. Davon schwärmt sie richtig. Also, Herr Professor. Gekommen bin ich, um zu danken. Dass es Ihnen besser geht, hat Ute berichtet. Irgendwann sieht man sich vielleicht wieder. In Wolfratshausen, zum Beispiel. Oder sogar im Theater. Nach dem, was Ute erzählt hat, wäre das Theater mehr für mich als die Oper.
    Er ist aufgestanden. Augustus hat ihm den Mantel gereicht. Den nimmt er über den Arm. Und geht zur Tür.
    Also, alles Gute. Und dankbar bleiben wir Ihnen.
    Er geht jetzt, weil er sieht, dass Augustus nichts mehr sagen will.
    Als die Tür zu ist, geht Augustus zum Bett, zieht den Morgenmantel aus, legt ihn über das Fußende des Bettes. Dann legt er sich auf das Bett, starrt zur Decke. Dann sagt er leise:
    Das war ein Überfall.
    Und noch leiser:
    Hilfe.
    Und wieder einmal hebt er die Arme, die Hände über den Kopf, bis die Hände einander finden. Dann versucht er das Tschechow-Lachen. Es gelingt ihm nicht. Dann liegen die Hände auf beiden Seiten neben ihm.

[zur Inhaltsübersicht]
    12
    Es klopft, und zugleich geht die Tür auf. So tritt immer nur der Professor ein, begleitet von einem Arzt und einer Assistentin. Sobald er sieht, dass Augustus angekleidet am Tisch sitzt und jetzt aufsteht, sagt er leise etwas zum Arzt und zur Assistentin. Die gehen dann wieder. Professor Overath scheint sich darüber zu freuen, dass sein Patient so vor ihm steht und ihn händeschüttelnd begrüßt.
    Das ist es, was der Arzt am liebsten sieht: ein Patient, der selber aufsteht und so zeigt, er sei geheilt. Oder täusche ich mich? Oder täuschen Sie mich? Ich bin immer für die freundlichste Bedeutung. Auf Ungutes bitte ich extra aufmerksam gemacht zu werden. Jedes Mal nach der Visite fällt mir ein, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte. Inszenierungen, die ich von Ihnen gesehen habe, sind wieder wach geworden in mir. Wegen Ihrer Antigone bin ich bis nach Salzburg gefahren. Ungeheuer ist viel und nichts ungeheurer als der Mensch. Das haben Sie mir eingebläut. Komisch genug. Den antiken Chor als Horde junger Mädchen. Cheerleader Girls! Mit allen möglichen Musikinstrumenten. Sie blasen, trommeln und zupfen, und kein Ton. Das wirkte
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