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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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ich diesen Zweikampf nicht so krass verloren hätte, wäre ich nicht in die Klink gekommen, hätte ich dich nicht getroffen.
    Hätten WIR uns nicht getroffen. Obwohl, das glaube ich nicht. Ich hätte dich unter allen Umständen entdeckt, getroffen …
    Wie denn?
    Du glaubst, wir hätten weiter an einander vorbeigelebt. Das glaubst du doch selber nicht. Ich habe gewartet. Auf dich. Wenn ich dich nicht getroffen hätte, hätte ich ewig gewartet. Das passiert öfter, als man glaubt. Vinze hätte es nie erfahren, dass ich auf dich warte. Wir hätten geheiratet, Kinder gekriegt, wir wären eines der zahllosen glücklichen Paare gewesen. Aber man hält es nur aus mit einander, weil man wartet. Du hast mir gefehlt. Zum Glück hat man nicht den Mut zu gestehen, dass einem jemand fehlt. Dann wirst du eingeliefert. Seit dem weiß ich, was mir gefehlt hat. Und es bricht aus eine Gefühlssicherheit, vor der die ganze Welt kapitulieren muss. Schatz. Wir sind Schicksalszwillinge!
    Deine Wörter, Marie …
    Ute-Marie!
    Und wie recht du hast. In gar allem. Ich mit meinem verdorbenen Kultur-Gehör wehre mich zuerst dagegen, dass du Ute heißt. Weißt du noch?
    In der zweiten Nacht wolltest du mich umtaufen. Vanessa, Lea, Sophia, lauter so schmucke Namen aus deiner Kulturboutique!
    Und wie du mir die weggefegt hast, die Kulturboutique. Ute, tonlos, farblos, und du hast den Namen intoniert wie ein Trompetensignal.
    Wie eine Soprankoloratur. Bitte.
    Das gibst du zu, dass ich in dir die Marie geweckt habe.
    Mein Vater hat Marie verlangt. Aber meine Mutter hat mich zur Ute erzogen.
    Was war dein Vater?
    Es gibt ihn noch. Er lebt jeden Tag noch lieber. Und hat jedes Jahr einen anderen Beruf. Aber immer Historiker.
    Was macht er zur Zeit?
    Consulting. Aber seine Lebensarbeit ist das Buch über die Reichsgründung. Er will beweisen, dass die Reichsgründung ein Fehler war. DER verhängnisvolle Fehler überhaupt. Richtig wäre gewesen ein deutscher Staatenbund nach dem Vorbild Amerikas. Kein Kaiserpomp, sondern VSD, Vereinigte Staaten Deutschlands!
    Ein Wintermärchen.
    Er glaubt an mich.
    Ich auch.
    Er hat mich einmal geohrfeigt.
    Augustus kann darauf nicht antworten.
    Als ich sagte, ich wolle Steuerberaterin werden.
    Ich liebe deinen Vater. Dass er dich Marie genannt hat, spricht für ihn. Das war unsere erste Intimität, dass wir erlebten, wie richtig das ist: Ute-Marie.
    Seitdem möchte ich nur noch so heißen. Aber du lässt die Ute immer wieder weg! Das geht auch nicht!
    Nie, nie mehr. Ich schwör’s!
    Noch mal!
    Was noch mal?
    Das ICH SCHWÖR’S war nicht gut. Nicht glaubhaft! Los, probier’s noch mal.
    Du führst Regie!
    Mir liegt daran, dass es glaubhaft ist.
    Du bringst mich auf fürchterliche Gedanken. Glaubhaft klingen! Das ist lächerlich. Glaubhaft sein.
    Das wär’s.
    Er küsst sie. Vorsichtig. Es ist eine Erkundung. Die führt zu einem Kuss, der eher eine ausführliche Zärtlichkeit ist als ein Kuss. Dann fällt er aufs Bett zurück. Er buchstabiert jetzt die Wirkung dieses Kusses.
    Dieses Gefühl einer ungeheuren Berechtigung. Es durchströmt mich. So deutlich wie noch nie. Ich möchte Blüten erfinden. Gesten, die erst in fünfzig Jahren üblich sein werden. Atemraubend kühne Gesten. Die Schauspieler, denen ich sie anbiete, erleben sie wie eine Levitation. Ich möchte mich bewegen, wie ich mich noch nie bewegt habe.
    Er steht wieder auf. Er kann jetzt nicht mehr liegen bleiben. Plötzlich wieder ganz auf sie konzentriert. Er will sie bekannt machen mit einem Sachverhalt. Und es wird dann mehr als ein Sachverhalt.
    Was in mir Zärtlichkeit ist und hinaus will zu dir, ist, bis es bei dir ankommt, nichts mehr wert. Es ist eine Temperatur. Eine Spannung. Eine Fülle. Ein nicht bei sich selbst bleiben wollender Zustand. Ein Bedürfnis, das sich erst kennenlernt, wenn es sich mitteilt. Ein Ungenügen. Ein Selbst-nichts-Sein. Und alles durch dich. Aber wie TEIL ich’s dir MIT. Dass du eine Ahnung hättest, wie ich dich liebe!
    Ich mag es, wenn du so redest. Bald hätte ich gesagt: Singst! Dass Stallhofer gesagt hat, es tue ihm leid, finde ich sympathisch.
    Ich auch. Und auch noch glaubhaft. Lydia muss seinen Ausdruck genau wiedergeben. Vielleicht können wir das benützen.
    Du musst immer alles benützen.
    Stimmt. Da bin ich wie der Schriftsteller Trigorin, der im Stück mit einem Eimer und einer Angelrute rumläuft, aber andauernd hat er auch sein Notizbuch dabei, das er herauszieht, und dann notiert er, was gerade wieder
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