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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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Versuche der Kollegen und Kolleginnen, mit dem Text zurechtzukommen. Heute bereue ich, dass ich auf der Leseprobe gesagt habe, Schauspieler sein heißt unsicher sein, jede verfrühte Sicherheit sei ein Porenverschluss. Max Stallhofer hat gegrinst. Ich habe so getan, als bemerkte ich es nicht. Aber das Wichtigste: dass er meinen Anfall nicht als Sieg verbucht. Es war eine Kreislaufschwäche, bitte! Im Arrangement noch eine entscheidende Änderung. Diese Unglücksgeständnisse von Mascha, Polina, Semjon, Beispiel Mascha: Ich trauere um mein Leben, ich bin unglücklich. Oder Semjon, der Lehrer, der unglücklich ist, weil Mascha ihn nicht liebt: Ich liebe Sie, ich halte es vor Sehnsucht nicht aus. Alle diese Unglücks-Arien sollen stolz klingen! Die Figuren sind stolz darauf, dass sie so lieben. Probier das mal. Am besten mit Mascha! Ich trauere um mein Leben! Verstehen Sie mich! Ich bin unglücklich! Und das nicht als Jammer, sondern als Stolz!! Ein Ausbruch von Selbstwertgefühl!! Also, mach’s gut!
    Er zieht den Morgenmantel aus, legt sich ins Bett, nimmt die Brille ab und löscht das Licht. Aber er kann nicht schlafen.

    Irgendwann klopft es leise, er antwortet nicht, Ute-Marie kommt herein. Sie knipst die kleine Taschenlampe an, Augustus hat die Augen geschlossen, er spielt den Schlafenden. Sie schaut ihm länger zu, dann streichelt sie ihn noch ganz leicht und sagt:
    Du mein Herz, schlage in mir.
    Dann geht sie.
    Sie hat ihre Haare diesmal nicht gelöst.
    Sobald sie draußen ist, öffnet er die Augen. Jetzt will er schlafen.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    Es klopft, Augustus setzt die Brille auf und ruft laut und hell: Herein. Er weiß, wer um diese Zeit kommt.
    Der Pfleger Robert öffnet die Tür, lässt Gerda eintreten, er trägt eine offenbar volle Reisetasche. Gerda nimmt sie ihm ab, sagt: Schon gut, danke. Und Robert, dialektnah: Sie will’s mich net machen lassen. Und Augustus: Danke, lieber Robert, danke. Robert: Wenn man schon nichts tun kann für die Menschheit, dann tut man eben, was sich gehört. Frau Doktor, Herr Professor, ich wünsche einen schönen Tag. Er geht. Darauf hat Augustus gewartet, jetzt legt er los.
    Die Sonne wüsste nicht, warum sie scheint, wenn sie nicht dich beschiene!
    Aus welchem Stück?
    Aus meinem.
    Wie heißt das Stück?
    Großer Bahnhof für Dr. Gerda! Glaub’s oder glaub’s nicht, die bringen jeden Tag wieder das Frühstück, und ich muss jeden Tag wieder an Eides statt erklären, dass Professor Overath persönlich mir erlaubt hat, das Klinik-Frühstück nicht anzurühren und dafür das Frühstück von Dr. Gerda Baum zu verschlingen, weil Dr. Gerdas Frühstück alles enthält, was ich an diesem Tag brauche. Aber solange du da bist, rühr ich’s nicht an. Ich verzehre dich. Mit den Augen.
    Wie geht es den Augen?
    Wie geht es der Hüfte? Wo ist der Stock?
    Churchill ließ sich nie mit Stock fotografieren. Ich hab ihn beim Pförtner gelassen.
    Weil du ihn nicht brauchst?
    Weil du ihn furchtbar findest.
    Sie hat ihm, was zu seinem Frühstück gehört, hingestellt. Eine Schüssel, in der alles enthalten ist. Kefir, Früchte, Körner und so weiter. Obwohl er gesagt hat, solange sie da sei, rühre er das nicht an, löffelt er jetzt die ganze Schüssel leer.
    Guten Appetit muss man dir nicht wünschen.
    Dr. Gerdas Feinstkost! Damit könntest du die Welt erobern.
    Mir würdest du reichen.
    Sie hat aus der Tasche frische Wäsche in seinen Schrank geräumt und Gebrauchtes zum Mitnehmen verstaut. Sie kommt ans Bett, schaut zu, wie er isst.
    Das kann ich nur bei dir.
    Was?
    Mir beim Essen zuschauen lassen. Ich weiß, wie komisch man aussieht mit vollem Mund.
    Bei mir ist es dir egal, wie du aussiehst!
    Mach doch nicht gleich was Negatives daraus. Ich hab es gemeint als Nähe. Unter allen Umständen.
    Trotzdem heißt das, bei mir ist es dir egal.
    Und wenn das so wäre?!
    Da! Schau!
    Sie zieht aus ihrer Handtasche ein Buch.
    Das erste Exemplar.
    Gibt es ihm. Er liest:
    Abhängigkeit, Wahn und Wirklichkeit.
    Das erste Exemplar.
    Sieht toll aus. Wie eine Gewitterwolke, aus der gleich Blitze kommen.
    Wie ein Dunkel, in dem sich das Licht verbirgt.
    Das bist du.
    Du bist ein Licht, das das Dunkel verleugnet.
    Es gibt keinen Satz von mir, aus dem du nicht das Gegenteil herauswirtschaftest.
    9900 Exemplare sind vorbestellt. Der Verleger findet’s erstaunlich.
    Ich auch.
    Ich hab dir eins mitgebracht als Belegexemplar. Du kommst auch vor.
    Klar.
    Sie nimmt das Buch, blättert, findet die
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