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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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Sachen, das glaubst du nicht. Alte Männer. Kranke, alte Männer!
    Wie ich.
    Ich muss dann immer abwiegeln, kämpfen, zumachen. Der Gebrauch, den Gebildete von ihrer Bildung machen, ist oft vernichtend.
    Warum hast du das Rubbeln überhaupt angefangen?
    Wegen Siegfried. Es ist doch die Stelle, wo er ungeschützt ist. Zuerst im Drachenblut gebadet, das ihn unverletzbar macht. Dann ist da unterm Schulterblatt das Lindenblatt hängen geblieben, kam also kein Drachenblut hin, also war er da verletzbar, der böse Hagen konnte da den Speer hineinstoßen. Diese Stelle ist mir geblieben. Dann hab ich’s probiert, und habe erlebt, dass es wirkt und wie es wirkt. Und Wagner in seiner Siegfried-Oper hat das weggelassen. Ich war sehr enttäuscht. Hab mir sogar den Text gekauft. Tatsächlich, da kommt nur vor, dass Siegfried, wenn er einem den Rücken zukehrt, getroffen werden kann, das Lindenblatt hat der Wagner einfach weggelassen!
    Da hast du’s. Das ist die Oper! Hättest du meine Inszenierung gesehen, Siegfrieds Tod, Hebbel, der finstere Hagen ruft: Ein Lindenblatt muss selbst der Blinde treffen. Er will sich trauen, ruft er, eine Haselnuss auf fünfzig Schritt mit diesem Speer zu öffnen. Und tut’s!
    Und das weißt du noch nach …
    … fast dreißig Jahren! Den Text weiß ich von jedem Stück, das ich machte. Ich bin ein Computer, dem die Löschtaste fehlt. Menschen vergess ich. Texte nie. Und das Lindenblatt, ich bitte dich, das Lindenblatt unter Siegfrieds Schulterblatt! Du hast es ja auch nicht vergessen. Und rubbelst es wach, ach, lass dir’s verbieten! Versprich es mir: Kein Lindenblatt mehr! Nirgends! Versprich’s, sonst …
    Er hört auf.
    Sonst?
    Bring ich dich um.
    Bitte. Aber davor gibst du mir die Bilder zurück. Dass die bei deiner Verurteilung im Gerichtssaal öffentlich werden, wäre mir noch im Grab eine Folter.
    Ich kann ohne diese Bilder nicht leben. Auch die, auf denen du Kleider trägst. Ich muss, wenn meine Sehnsucht mich strangulieren will, in die Schublade greifen …
    In die Schublade! Bist du wahnsinnig! Du hast versprochen, sie in den Safe zu sperren.
    Wenn ich aus dem Zimmer muss zu Untersuchungen. Wenn ich da bin, kommt kein Mensch an die Schublade.
    Gerda …
    Ich weiß gar nicht, ob ich die Fotos Gerda nicht zuspielen sollte. Sie so hier auf dem Tisch liegen lassen, dass sie das Gefühl hat, sie habe die Bilder selber entdeckt. Gegen meinen Willen. Das würde vieles vereinfachen.
    Aber die Kreta-Bilder und die aus Thailand gibst du mir. Jetzt. Sofort.
    Ute-Marie!
    Oder ich gehe.
    Oder ich sperre zu.
    Du begreifst nicht, wie ernst es mir ist. Jetzt. Bitte. Sofort.
    Augustus nimmt die Bilder aus der Schublade, gibt ihr die aus Kreta und Thailand. Sie prüft, ob es alle sind, und verstaut sie in der Tasche ihres Schwesternmantels.
    Glück gehabt.
    Wer?
    Du! Wenn du das nicht begriffen hättest, dass es für mich mehr als tödlich wäre, dass es für mich vernichtend wäre, wenn irgendjemand diese Fotos sähe, dann, lieber Augustus, hätten wir, weil wir zutiefst nicht zusammenpassen, nichts mehr zu tun gehabt mit einander.
    Ich leihe dir die Bilder. Sie gehören mir. Wenn du mir gehörst, wie ich dir gehöre, dann gehört mir alles, was du bist und hast, wie dir alles gehört, was ich bin und habe. Weil du das noch nicht ganz begreifst, leih ich dir die Bilder. Drei Männer haben dich fotografiert. Für zwei davon, für die beiden Ärzte, hast du dich auf Kreta und in Thailand nackt fotografieren lassen. Offenbar hast du keine Ahnung, wie du wirkst. Nackt. In hundert Stellungen. Immer unter einem riesigen Himmel und vor einem unendlichen Meer und in einem enormen Sand. Und jetzt das Gewaltige, Schatz. Du vergibst dir nichts. Auf keinem dieser von zwei gierigen Männern geknipsten Bilder kommt es auch nur zur geringsten Peinlichkeit. Weder zierst du dich, noch bietest du dich an. In allen Stellungen nackt, als wärst du allein. Tatsächlich keimte in mir die Hoffnung: du seist allein gewesen. Sag dazu nicht Ja und nicht Nein. Aber du bist auf allen diesen Bildern bei dir. Bei dir selbst. Und das ist, gestatte mir das schlichte Wort, einnehmend! Wenn mich je etwas in unserer Zusammengehörigkeit bestätigt hat, dann sind es diese Bilder. Deinen Vinze liebe ich dafür, dass er dich nur angezogen fotografieren will. Angezogen bist du frech, übermütig, provozierend. Da gibst du an. Du findest es toll, dass dir, was du anhast, so gut steht. Du feierst dich in Röcken, Blusen und Kleidern. Da
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