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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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könnte man sagen: Du bietest dich an, du willst verführen. Und sei es deinen Vinze. Und wie du lachst! So ein Lachen habe ich noch auf keiner Fotografie gesehen.
    Weil Vinze das Fotografieren so ernst nimmt. Wie der sich krümmt und biegt und streckt, bis er endlich abdrückt! Er hat gedacht, ich lache ihn an. Ich habe über ihn gelacht.
    Dass du, sobald es wärmer wird, so herumläufst! Dass du so wenig anhaben wirst! Dass dir das mit einem Griff vom Leib gerissen werden kann! Alles, was du da anhast, entblößt mehr, als es verbirgt! Soll ich verbieten, dass es wärmer wird? Ich ertrag das nicht. Dass du so herumläufst. Es sei denn, ich bin dabei.
    Ich brauch jetzt keine Oper mehr. Deine Arien reichen mir …
    Moment, Moment! Ich fotografiere auch. Auch dich. Ich bin viel bescheidener als Vinze und die Ärzte. Ich will, dass du meinen Hut trägst. Das fiel mir schon am zweiten Tag ein. Und immer wieder hab ich es versäumt. Aber so nicht. Mit hochgebundenen Haaren fotografier ich dich nicht.
    Ute-Marie hat inzwischen ihre Haare hochgebunden, jetzt löst sie sie wieder.
    Er holt seinen Hut aus dem Schrank, setzt ihn ihr auf. Sieht, dass ihr sein Hut sehr gut steht.
    Genau! Jetzt kommt es auf dein Gesicht gar nicht mehr an. Achtung!
    Und knipst.
    Und noch einmal! Jaa!
    Und knipst.
    Und ein letztes Mal. OK! Du bist ein Model, Schatz. Vielleicht sogar eine Schauspielerin.
    Jetzt hast du mein Bild. Und morgen verschwindest du.
    Ich? Wer sagt das?
    Er greift sofort nach der Brille.
    Schon nach einer Woche hätte man dich entlassen müssen.
    Ein Regisseur ist auch ein Schauspieler, sonst ist er kein Regisseur. Und der Professor tut so, als glaube er mir. Er hat mich durchschaut. Er weiß, dass ich deinetwegen nicht entlassen werden will. Tatsächlich habe ich mir in der Klinik das seriöseste Leiden überhaupt zugezogen. Liebe.
    Ich heile dich.
    Bitte nicht. Ich will an der Liebe zu dir sterben.
    Wann?
    In fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren.
    Fünfunddreißig, bitte.
    Wieder ein Kuss, an dessen Zustandekommen beide gleichermaßen beteiligt sind. Ein sorgfältiger, milder Kuss.
    Noch ein Geständnis.
    Deine Geständnisse sind Rosen im Winter.
    Jedes Mal wenn du gehst, dann … dann müsste ich dich sofort zurückrufen, mit dem Piepton, und weiß, dass das nicht geht. Ich müsste dich fragen, ob du das auch schon gehört hast, dass Männer, wenn sie mit einer Frau geschlafen haben, dann nichts mehr wissen wollen von dieser Frau. Eine Zeit lang.
    Vinze ist danach nur noch scharf auf Fernsehen.
    Ich bin nachher jedes Mal noch heftiger auf dich angewiesen als vorher. Jedes Mal geschieht etwas, was dich noch unentbehrlicher macht. Eine Handbewegung, ein bloßer Laut, ich weiß, ohne diesen Laut will ich, kann ich nicht leben. Oder ein Satz von dir. Vorher, im Bett, hast du gesagt: Wir werden uns nie auswendig können. Alles, was du bist, ist wie für mich erfunden. Und dass es das, nämlich dich, wirklich gibt, ist und bleibt ein Wunder.
    Darum mag ich dich so, weil du lauter so liebes Zeug drauf hast.
    Liebes Zeug! Und wie du bei diesem Satz auch noch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hast! Das ist die den Satz ins Glaubhafte steigernde Geste.
    Er notiert sich etwas.
    Schon notiert!
    Genau.
    Machst du das bei Gerda auch?
    Frag nicht Sachen, die nicht hierhergehören!
    Aha! Auf der Station grinst man schon! Jeden Morgen rührst du das Klinik-Frühstück nicht an, weil Dr. Gerda dir jeden Morgen das Frühstück bringt. Und das schafft die Ärztin, heißt es, noch vor ihrer Sprechstunde!
    Seit 29 Jahren. In dem Jahr, in dem du auf die Welt kamst, wurde geheiratet.
    Wurde noch schnell geheiratet.
    Und seit 29 Jahren ist in dem Frühstück alles drin, was ich brauche. Ihr Spruch!
    Eine besitzanzeigende Maßnahme.
    Wenn auch nicht als solche gedacht.
    Glaubst du. So wenig kennst du deine Frau.
    Und wie findest du das: Wenn du lieb bist zu mir, kann ich lieb sein zu Gerda. Wer selber unglücklich ist, kann den anderen auch nur unglücklich machen. Im Stück liebt jeder jemanden, der einen anderen oder eine andere liebt. Also sind alle unglücklich. Jede Figur, die auf die Bühne kommt, setzt ihren Jammer fort.
    Sollen sie doch froh sein!
    Dass sie nicht geliebt werden?
    Dass sie noch lieben können! Manchmal denke ich: Wenn ich Vinze nicht mehr lieben könnte und so tun müsste, als ob ich ihn noch liebte, das wäre furchtbar. Aber solang ich noch lieben kann, bin ich doch froh!
    Er notiert sich etwas.
    Zeig mir
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