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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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    2
    Du glaubst doch nicht, dass ich dieses Zimmer mit offenen Haaren verlassen kann.
    Ich habe dich wieder nicht fotografiert. Mit hochgesteckten Haaren fotografier ich dich nicht.
    Er schaut zu, wie sie sich anzieht. Sie setzt sich noch einmal auf den Bettrand. Ihre Hände finden zusammen.
    Ach, Marie.
    Ute!
    Sie korrigiert ihn so, dass er verstehen soll, so korrigiere sie ihn nicht zum ersten Mal.
    Schon bei der leisesten Berührung weiß ich nicht mehr, wie du heißt.
    Aber wie du heißt, weißt du noch! Und dass du der Regisseur bist, vergisst du nie. Augustus Baum, der mit Prominenz gepanzerte Regisseur! Und die Krankenhausmaus! Die hat Ärztin werden wollen. Dann hat es nicht gereicht. Trotzdem. Nachtschwester bleib ich nicht!
    Wenn du Ärztin wärst, hätten wir uns nicht gefunden. Nachtschwester, das hat’s gebracht. Und auch das nur mit Hilfe einer Niederlage.
    Es war ein Zweikampf, kein Duell. Hast du gesagt.
    Ja, keine Regeln, kein Ritual, einfach: Wer ist der Stärkere. Und das war er, der andere. Und ich der Schwächere, der Verlierer. Der mit Prominenz Gepanzerte!
    Verstanden habe ich das nicht. Da du doch der Regisseur bist und der andere der Schauspieler, hast doch du das Sagen gehabt, du, der Regisseur.
    Ach, Ute-Marie! Regisseur! Ein Regisseur, der die Möwe inszeniert, muss merken, dass ein Regisseur auch nur eine Rolle ist. Auch wenn er diese Rolle schon öfter gespielt hat, vielleicht sogar mit Erfolg. Genauso die Schauspieler. Das ist auch eine Rolle, Schauspieler sein. Und weil alle vor allem unsicher sind, treten alle auf, gepanzert mit irgend einer Prominenz. Max Stallhofer weiß, wie prominent er ist, und er spielt im Stück den Trigorin, den Schriftsteller, der weiß, wie berühmt er ist. Aber im Unterschied zu Max Stallhofer beschreibt Trigorin im langen Monolog, wie wenig ihm das hilft, berühmt zu sein. Und hört dann so auf: Eigentlich bin ich doch nur ein Landschaftsschilderer, alles andere ist verlogen, verlogen bis ins Mark. Verstehst du? Wie sagt ein berühmter Schauspieler diesen Satz? Sagt er ihn wirklich so, dass die Leute verstehen: Eigentlich bin ich nur ein um Beifall bettelnder Schauspieler, alles andere ist verlogen, verlogen bis ins Mark? Vorher hat er als Trigorin gesagt: An seinem Grab wird man sagen: Hier liegt Trigorin. Ein guter Schriftsteller, aber Turgeniew war besser. Wird Max Stallhofer das so sagen, dass man hört: Eigentlich bin ich ganz wacker, aber Kinski war besser? Darum ging der Kampf. Wie spricht der zur Spitzenklasse gehörende Max Stallhofer den Satz: Eigentlich bin ich so und so, alles andere ist verlogen, verlogen bis ins Mark?
    Zu wem sagt er denn das?
    Zu Nina, die ihn anschwärmt, die ihn verehrt, die nicht einmal halb so alt ist wie er und die Schauspielerin werden will.
    Dann weiß er doch, dass sie ihn gar nicht verstehen kann.
    Stallhofer hat die Nina, also die Corinna Demski, hat sie an den Schultern gepackt, hat ihr das Gesicht zu sich heraufgedreht, hat den Ton halbiert, hat ihr ganz leise, ganz intensiv ein Geständnis geliefert. Also ungeheuer pathetisch, pianissimo, gesteht er, gesteht er nur ihr: Verlogen bis ins Mark. Das hieß: Noch ehrlicher geht es nicht.
    Und sie?
    Hilflos. Sie spielt die Erschütterte. Er so prominent, und dann so ein Geständnis.
    Und du?
    Ich habe mich nicht beherrscht! Ich habe gesagt: Das ist Stallhofer! Wir spielen Tschechow. Das war furchtbar falsch. Er wurde nervös. Bot dann nur noch Imitate an. Die lehnte ich ab, die muss ich ablehnen. Bis er erledigt ist. Kapituliert. Dann schafft er den Verlogen-Satz glaubhaft. Denk ich. Aber auf einmal wurde es dunkel. Ich merke noch, dass ich zu Boden gehe. Nicht stürze. Ich sinke. Sinke ins Dunkel. Aber in diesem Dunkel blitzt es noch. Mehr als einmal. Ich denke noch: Schade. Und fühl mich leicht, ganz komisch leicht. Und: Anton Pawlowitsch. Das denk ich auch noch: Anton Pawlowitsch. Dann ist Schluss.
    Anton Pawlowitsch? Wer ist denn Anton Pawlowitsch?
    O Kind. Es wird Zeit, dich zu entführen. Anton Pawlowitsch. Ich bin mit ihm per Du. Ja, und dann wach ich auf, hier in einer Klinik. Und Max Stallhofer, hat mir Lydia nachher gesagt, habe sich, als ich da lag, über mich gebeugt und habe gesagt: Das tut mir aber leid. Und das sei, sagt Lydia, ganz und gar glaubhaft gewesen.
    Also haben wir es Max Stallhofer zu verdanken, dass wir einander gefunden haben.
    Beziehungsweise meinem KO. Dass ich umgefallen bin, in die Schwärze versunken bin. Wenn
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