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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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reagiert erst auf ein zweites Klopfen und schaut auch nicht sofort zur Tür, um zu sehen, wer da kommt. Vinze muss sich selber bemerkbar machen.
    Guten Tag, Herr Professor. Verzeihen Sie, wenn ich störe.
    Sie sind?
    Andreas Breitenmüller.
    Jetzt schaut Augustus hin.
    Könnte es sein, dass Sie sich in der Zimmertür getäuscht haben?
    Ich komme von Ute. Ute Wiese.
    Augustus richtet sich jäh auf.
    Oh! Nehmen Sie Platz. Bitte.
    Vinze setzt sich auf das Sofa, auf dem bis jetzt noch niemand saß. Augustus hat sofort den Morgenmantel an, schlüpft in die Schlappen. Geht hin zu Vinze. Zeigt, dass er ihm den Wintermantel abnehmen will. Vinze steht auf, Augustus nimmt den Mantel und hängt ihn auf. Als er direkt vor Vinze steht, sieht er, dass der deutlich größer ist als er.
    Entschuldigen Sie, bitte, Ihr Name war …
    Andreas Breitenmüller. Ich ahne, dass Ute, sollte sie mich Ihnen gegenüber überhaupt erwähnt haben, dass sie mich Vinze genannt hat.
    Vinze, natürlich. Von Vinze hat sie erzählt. Und Sie sind Andreas UND Vinze?
    Das ist ein Miniproblem zwischen Ute und mir. Ich heiße bei allen, die mich kennen, Andi. Ute war vom ersten Tag an gegen Andi. Das sei ein Name für einen Zwölfjährigen. Sie hat sofort aus Vinzenz, meinem zweiten Namen, Vinze gemacht. Und sie ist ja, wie Sie nicht wissen können, sehr eigensinnig, um nicht zu sagen, schwer belehrbar. Wenn wir bei meiner Mutter sind, nennt sie mich Vinze. Nachher ruft meine Mutter mich an und fragt, was das bedeutet, dass Ute mich Vinze nennt statt Andi. Dann muss ich ihr wieder erklären, dass Ute Andi nicht gut findet.
    Ich finde Vinze auch besser. Entschuldigen Sie.
    Irgendwann schafft sie es, dass ich nur noch Vinze heiße.
    Sie heißt ja auch nicht nur Ute.
    Sondern?
    Ute-Marie.
    Ich finde, Ute passt perfekt zu ihr. Und Ihnen hat sie gesagt, dass sie auch noch Marie heißt?
    Hat sie.
    Dass sie das mir gegenüber nie erwähnt hat, zeigt, wie unwichtig ihr die Marie ist. Und Namen sind ihr doch wichtig. Wenn wir nächste Woche heiraten, soll sie eingetragen werden als Ute Breitenmüller-Wiese. Das hat sie ihrem Vater versprechen müssen, dass sein Name nicht verschwindet. Ein ziemlich schräger Typ, ihr Vater. Hauptsächlich Historiker. Es würde mich wundern, wenn sie den nicht erwähnt hätte.
    VSD.
    Genau. Das ist seine fixe Idee. Darum will er auch, dass der Name Wiese bleibt.
    Habe ich das richtig verstanden? Sie heiraten nächste Woche?
    Ja, müssen wir. Ich kann nicht allein ein Jahr nach Schweden für Radisson. Und heiraten wollten wir ohnehin. Also wird eben vorher noch geheiratet. Ich hatte ja vor, in Wolfratshausen für uns ein Haus zu bauen. Dann hätten wir geheiratet und wären am Tag der Hochzeit eingezogen in das Haus, das ich gezeichnet und berechnet und geplant habe. Sozusagen bis auf den letzten Nagel. Jetzt wird zuerst geheiratet, dann, nach dem Schweden-Jahr, wird gebaut, dann ziehen wir ein.
    In Wolfratshausen.
    Ja. Den Platz habe ich vor fünf Jahren gekauft. Ute kennt meine Zeichnungen. Sie wurde gefragt, ob sie einverstanden ist: die Wohnzimmer-Decke aus serbischer Fichte, die Türen aus norwegischer Fichte, das Balkongeländer aus gedrechselter Eiche. Vier Kinderzimmer. Im Souterrain meine Erfinderwerkstatt mit allen Maschinen und an der Wand der Satz, mit dem unser Informatikprofessor immer eröffnet hat: Wenn dies auch der Wahrheit zu widerstreiten scheint, so müssen wir doch der Rechnung mehr vertrauen als unserem Verstand. Dazu die Jahreszahl 1752. Leider weiß ich nicht mehr, von wem der Spruch ist. War ein Franzose. Das bring ich noch raus. Vielleicht lass ich auf einer Wand noch ein paar wichtige Algorithmen aufmarschieren. Oder mache selber noch einen Spruch. Eine Erfahrung, zum Beispiel: Wer seine Interessen vertritt, verrät sich. Oder ist das zu … zu ehrlich? Wird sich zeigen. Ja, ich habe ziemlich ehrgeizig geplant. Rollläden auch zu nicht rechteckigen Fenstern, also an der Dachschräge entlang zu spitz zulaufenden Fenstern. Mir ist einiges eingefallen. Der Swimmingpool wird mit Solar-Energie geheizt. Überhaupt wird Gas, Pellet und Solar so kombiniert, dass unsere Energiekosten unglaublich gering sind. Alles dreimal verglast. Ich bin ja für Autarkie. In allem. Heute bin ich Software-Ingenieur. Und selbständig. Angefangen habe ich bei Wacker. Dann mit sechs anderen ausgestiegen. Eine Firma gegründet. Dann wieder ausgestiegen. Allein eine Firma gegründet. Ich weiß, wie unwichtig du für einen anderen bist,
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