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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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also in die Kloschüssel, da kommt sie aus dem Papier hervor, jetzt im Wasser, klein, klumpig, bewegungslos. Also ertrunken. Schade. Aber auf einmal entfaltet sie sich wieder und seilt sich an einem Faden, den sie offenbar beim Fallen ausgeworfen hat, seilt sich aus dem Wasser in die Höhe. Ich biete ihr, sobald sie aus dem Wasser ist, wieder Papier an. Sie akzeptiert. Diesmal gelingt es, sie zum Fenster zu tragen. Sie ist draußen. Ken lachte lautlos und sagte, dass er jederzeit zur Verfügung stehe. Mit Spinnen kenne er sich aus, weil er einen Sommer lang in Middlebury einen Hausmeister vertrat und eingeschärft bekam, keine der hunderttausend Spinnen, die dieses Haus eingesponnen hatten, zu stören, weil der Besitzer einerseits ein Astrophysiker, andererseits ein spider fan sei. Steve hat immer seine Hände zu Fäusten geballt. Zu Fäustchen, muss man sagen, denn seine Hände sind nicht gewaltig. Aber er wirkt entschlossen. Als er jetzt mit mir sprach, versuchte er, seine kleinen Fäuste in die Taschen seiner most fitting Jeans zu stecken. Das ging natürlich nicht. Steve ist verheiratet. Wilma ist vierzehn Jahre älter als er. Das sagte er lachend. Es sei der ideale Kompromiss! Da man die eigene Mutter nicht heiraten soll, heiratet man eine Frau, die es fast sein könnte.
Ich wundere mich nicht darüber, dass ich in der nächsten Nacht wieder von Eli träumte. Eli saß auf meinen Schultern, ich trug ihn herum und war, glaube ich, stolz darauf, dass ich ihn tragen konnte. Aber ich wollte gern mehr haben von ihm, wollte ihn herunterziehen zu mir. An meinen Mund. Das gelang überhaupt nicht. Er saß auf meinen Schultern wie angewachsen. Als ich aufwachte, blieb mir das Zwielicht, in dem der Traum stattfand, in Erinnerung. Und immer erkenntnisgierig dachte ich: In meinen Träumen ist es nie hell. Nie scheint da die Sonne. Meine Träume sind nie besser beleuchtet als das 19. und das 18. Jahrhundert.
Lieber Herzensfreund, es ist doch so: Ich hüte eine Wunde und sorge dafür, dass sie nicht heilt! Ob das alles wahr ist?
Ich bin unfähig, den Zustand anzuerkennen. Ursulas und Bertis Sätze tanzen auf mir herum. Die Sätze führen sich auf in mir. Aber ich kann sie mir nicht beibringen.
Ich kann mir das Hoffen nicht abgewöhnen. Wenn ich hier um drei Uhr nachts aufwache, denke ich, dass drüben schon Vormittag ist, ich könnte also angerufen werden. Dann denk ich: Zusammenbrechen, das wär’s. Dann sage ich mir: Wenn heute nichts kommt, nichts von Berti, nichts von Ursula, dann …
Ja, was dann? Gar nichts. Wenn nichts kommt, warte ich weiter. Dann frage ich mich nachts um drei: Wo tut es weh? Zeig mir die Stelle, bitte! Und das nächste Mal sage ich mir: Du lebst davon, dass dir was wehtut. Was wärst du ohne diesen Schmerz. Sehnsucht, verfluchte, hör auf! Lass mich hier sein, wo es mir gefällt, gefällt, gefällt! Denk dran: Nacktheit meiden! Vor allem: Nacktheit und Spiegel! Durch Nacktheit und Spiegel nimmt alles zu! Dann die Wörter. Die Angebote. FREUDLOS bietet sich an. Freudlos für immer. Wie lang ist das: immer? Und: allein sein. Solang ich andauernd über mich hinausdenke, bin ich nicht allein. An nichts denken. Das will gelernt sein. Nicht nichts denken, sondern an nichts. Ich wünsche jetzt: Leere. Ekel vor allem. Eine Liebe zur Leere. Zum Nichts. Eigenschaftslos. Schwerelos. Und schon rast die Illusion. Zurück zur Bewegungslosigkeit. Erstarren.
Ursula schrie: Ich habe es satt. Ich soll sagen: Ich habe mich satt. Aber wenn ich mich umbrächte, was ich nicht schaffe, würde sie sagen: Das habe ich nicht gewollt. Ich möchte ihr schreiben. Und Berti schreiben. Ich möchte uns drei feiern. Platon: dass der so gesinnte Gerechte gefesselt, gegeißelt, gefoltert, geblendet an beiden Augen werden wird, und zuletzt, nachdem er alles mögliche Übel erduldet, wird er noch aufgeknüpft werden und dann einsehen, dass man nicht gerecht sein, sondern scheinen wollen muss. Für gerecht kannst du einsetzen gut . Also, bis dahin ist noch Zeit. Aber auf dem Weg bin ich, hoffentlich. Wenn ich ins Englisch auswandere, kann ich mich vielleicht zum Schweigen bringen. Man hat keinen Feind außer sich selbst. Das ist tröstlich. Jeder, den du bisher für einen Feind gehalten hast, war doch nur jemand, dem ich aufdringlich Anlass gegeben habe, mir etwas Schmähliches zuzufügen. Die sich jetzt gerade mir ahndend zuwenden, sind bald genug froh, wenn ich ihnen verschwunden bin. Nur ich bin für mich unabschaffbar. Ob ich am
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