Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
nicht misstrauisch.
Als Art mich zum Auto begleitete, entschuldigte er sich dafür, dass seine Frau von diesem overriding issue nicht mehr losgekommen sei. Und bat um mildernde Umstände für sie, extenuating circs. Esthers Vater, ein Harvard-Professor für Moralphilosophie, sei ein Extremist der double standards gewesen. Das nächste Mal, sagte Art, sind wir heraus aus all dem, nämlich bei Platon. Ihm selber, ließ er noch wissen, sei nie ein Doppelleben gelungen. Ein einfaches Leben allerdings auch nicht. Mit dieser eindeutigen Vieldeutigkeit entließ er mich. Zurück zu mir. (Falls ich je weg war!)
Berti sieht nur meine Flucht. Er sieht sich als den Verlassenen. Seine Mutter wurde von ihrem Mann verlassen, als sie mit Berti schwanger war. Angeblich war es ein Versprechen gewesen: Keine Kinder. Der Mann ist Archäologe. Spezialgebiet: Keltengräber. Er arbeitet seit Jahrzehnten an seinem Standardwerk: Europa, ein Keltengrab. Die Kelten, unsere Indianer. Berti hat sich früh in eine Verantwortung hineingelebt. Seinetwegen ist seine Mutter von ihrem Mann verlassen worden. Und jetzt sollte er seine Mutter verlassen? Niemals.
Augustus, wie unfest bin ich! Als ich noch auf Bertis Ankunftsdatum wartete, bin ich mit meinem Mercury Marquis nach Washington gefahren. Geschaukelt eher als gefahren. Dank der redundanten Federung der amerikanischen Autos. Ich wollte Bertis Ankunft proben. Und habe mir dort zwei Tage gegönnt. Das Rückgrat dieser zwei Tage war die Connecticut Avenue. Den Kopf bildet das Hilton. Da wollte ich mit Berti seine Ankunft feiern. Es lungerten nicht so viele Bettler herum, wie Platz gehabt hätten. Ich flanierte dann durch Georgetown. Wahrscheinlich das Schwabing von Washington. Ein kleiner Uraltlaster vom Land bot den feierlichen Klinkervillen Holz an für den marmorgesäumten Kamin. Sogar mir. Das muss an Hut und Jacke gelegen haben, die ich zu Bertis Empfang gerade gekauft hatte. Der Hut hellbeige, ins Grünliche gehend, und eine starre breite Krempe, an den Seiten aufgebogen wie Regenrinnen. Die Jacke allerhellstes Grün, ganz groß kariert. Mich hat es gefreut, dass mir ein Kamin zugetraut wurde. Den Tag, an dem dann Bertis Absage eintraf, hat der Kassierer im Supermarkt einen nasty day genannt. Und meine Träume haben nicht aufgehört, mich zu warnen. Ich erwarte jeden Tag die Scheidungspapiere. Ich werde sie unterschreiben, egal, was sie enthalten. Ich habe Ursula alle Daten mitgeteilt. Sie könnte anrufen. Aber das kann sie nicht. Sie ist wirklich durchdrungen von der Rechtmäßigkeit aller ihrer Empfindungen. Ebenso wie Berti. Der Unterschied: Berti bedauert, dass er nicht kommen kann bzw. dass ich abgehauen bin. Ursula ist froh, dass ich außer Landes bin.
Als ich einzog in dieses Haus, das für ein Haus zu klein und für ein Häuschen zu groß ist, wollte ich die ganze Nacht lang wach liegen auf meinem four-poster bed und die Geräusche studieren. Dann schlief ich doch ein und träumte, ich säße in einem Haus, das nur aus großen Fenstern besteht, und ich bin noch nicht richtig angezogen. Die Leute schauen aus ihren höheren Fenstern auf mich herab, und ich kann mich nicht rühren. Alle bemerken, dass ich, als ich noch versuchen konnte, mich zu bewegen, beide Beine in Angstpanik in EIN Hosenbein gezwängt hatte. Deshalb konnte ich natürlich meine Hose nicht hochziehen. So sitze ich jetzt da, angeschaut von einer ganzen Galerie von Zuschauern.
Als ich diesen Traum Frau Dr. Ferner erzählte, lachte sie. Der erste Traum im gerade bezogenen Haus sei wichtig, hatte sie gesagt, den müsse ich ihr erzählen. Dann tat sie so, als sei dieser Traum Klartext, darüber müsse man nicht auch noch reden.
Frau Dr. Ferner und ich nähern uns einer Symbiose. Wenn es ihrem Mann wieder ein bisschen besser gehe, müsse ich mit ihr hinunterfahren nach Salisbury. Aber reden mit ihrem Mann nur in Englisch. Deutsch komme für ihn nicht mehr in Frage. Sie dagegen, die eine Großmutter in Idar-Oberstein hat, kann gar nicht genug kriegen vom Deutschreden und -hören.
Wenn ich ein Komponist wäre, würde ich in Noten notieren, was die Heizkörper hier allnächtlich von sich geben. Sowohl Glasglöckchen kommen vor wie fernes Kuhgeläut. Schlimm ist jedes Mal der Augenblick, in dem die Heizung einsetzt. Die langen, dünnen, unten an den Wänden entlang liegenden Blechlamellen lärmen dann so bizarr, als breche ein Hirsch durch einen Glaswald. Dazu noch die harten Schläge einer Pumpe. Das erlebe ich jedes Mal als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher