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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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bezeichnet, vor allem wohl wegen der zahlreichen Kriege, die die betroffenen Menschen als apokalyptische Leidenszeit erlebt haben dürften – in Deutschland vor allem der Dreißigjährige Krieg. Dabei hat diese Fixierung in der historischen Forschung lange den Blick dafür verstellt, dass die gesamte Zeit von etwa 1560 bis 1720 eine Epoche voller Spannungen und Erschütterungen war. Zum Krieg kamen politische und soziale Umwälzungen sowie klimatische Veränderungen, die ab dem späten 16. Jahrhundert immer wieder zu Missernten, Hungersnöten und in Folge davon zu einemhorrenden Preisanstieg führten, der viele alles Hab und Gut kostete. Manche sahen in den Missernten eine Strafe Gottes und forderten Reue und Buße; andere waren davon überzeugt, Hexen seien die Schuldigen, woraus sie die Schlussfolgerung zogen, es gelte, diese Agenten des Teufels zu fangen und zu vernichten.
    Dabei begegnen sich auf merkwürdige Weise objektive und subjektive Faktoren und verbinden sich teilweise zu einem unentwirrbaren Knäuel: Die Gletscher, die im 17. Jahrhundert nachweislich bis in die Täler wuchsen, die geringeren Ernteerträge und die höheren Steuern, die gestiegene Mortalität aufgrund von Seuchen und Kriegen – das ist die eine Seite. Kometenfurcht und Endzeitspekulationen, die Nachfrage nach erbaulicher Literatur, Fantasien über Hexen und Dämonen als Vertreter des Bösen – das ist die andere. Erfahrung und Imagination stoßen dabei aufeinander, Anschauung und Obsession, Lebenspraxis und Orientierungswunsch. Kluge Lebensbewältigung und religiöser Eskapismus lagen damals eng nebeneinander, ebenso wie verstehende Einsicht und ausweichende Kompensation. Daher finden sich in meinem Roman aktive »magische« Praktiken, die sozusagen als Traditionen »hinter vorgehaltener Hand« weiter gelebt wurden. Es war ein magisches Jahrhundert, das unter anderem der Astrologie einen immensen Stellenwert einräumte.
     
    Was wir im 17. Jahrhundert vielerorts vorfinden, ist ein erstaunlich großes Maß an Gewalttätigkeit im Alltag, an gewaltbereitem Verhalten und grober Sprache. Dazu kommt eine bemerkenswerte Bereitschaft, sich für außergewöhnliche Ereignisse zu interessieren und über diese Dinge zu spekulieren. Diese beiden Phänomene werden unterstützt durch die oben bereits erwähnten existenziellen Sorgen. Alles zusammen produziert eine außerordentlich gereizte Stimmung, eine labile Atmosphäre, die schnell zu Ausbrüchen führen kann.
    Im Mai 1626 zerstört ein Frosteinbruch in Bamberg beinahe die gesamte Ernte. Die Menschen suchen nach Schuldigen für diese Naturkatastrophe—undfinden die Hexen oder »Druten«, wie sie im Fränkischen hießen, als geeignete Projektionsfläche für ihre Ängste und Nöte. Sie bitten die Obrigkeit sogar, gegen diese Scheusale vorzugehen. Hexenbrenner Friedrich Förner, Weihbischof zu Bamberg, wird nach einer Zwangspause von acht Jahren, in der ihm der Geldhahn für die kostspieligen Hexenprozesse »von oben« zugedreht worden war, wiederaktiv.

Hexenwahn oder: »Gott ist tot, und der Teufel ist jetzt der Meister …«
    In diesem Klima kollektiver Ängste sind die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit ein bis heute bestürzendes Kapitel der europäischen Geschichte. Wenn aktuelle Forschungen auch mit früher vermuteten Zahlen von über neun Millionen Hexen, die allein in Deutschland (!) verbrannt worden sein sollen, längst aufgeräumt haben, so kann man immerhin davon ausgehen, dass 25.000 Menschen (von circa 60.000 gesamteuropäischen) im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.
    Der Begriff »Hexe« lässt sich erst ab 1419 in deutschsprachigen Gerichtstexten nachweisen. Glaubte man davor noch an einzelne Zauberinnen und Zauberer, die Schadens-, aber auch Heilzauber vollbringen konnten, so entwickelt sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts ein ganz neuartiges Bedrohungsszenarium von einer im Geheimen agierenden, Schaden stiftenden Hexensekte. Beeinflusst von Geständnissen, die man den Mitgliedern der religiösen Sekten der Katharer (siehe dazu auch meinen Roman: »Straße der Sterne«) oder der Waldenser (siehe dazu auch meinen Roman: »Die sieben Monde des Jakobus«) erpresst hatte, entwickelten sich neue Vorstellungen von Teufelsanbetungen, nächtlichen orgiastischen Zusammenkünften, einem Hexensabbat, Huldigungsritualen an den bösen Geist und Kindesopfern.
    Eine wichtige Rolle spielte dabei das Basler Konzil (1431–1437), das diesen
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