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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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Lippen beißen mögen, aber es war schon heraus. »Dann tu eben, was du tun musst«, schickte sie hinterher.
    »Ava. Ich will zu Ava.« Lenchens Jammern setzte wieder ein. »Gehen wir doch zu Ava!« Rotz lief aus ihrer Nase. Ihr falbes Haar war voller Nissen. Sie fror in ihrem zerschlissenen Kleid und dem Umschlagtuch, das jedes Mal herunterglitt, wenn sie sich kratzte. Dass sie einen Rosenkranz um den dünnen Hals geschlungen hatte, ließ sie nur noch jämmerlicher aussehen.
    »Gute Idee!« Das Wehklagen der Kleinen war der letzte Rettungshalm, an den Kuni sich klammern konnte. Und sie war dankbar dafür. »Ja, wir gehen zu Ava. Sie hat sicherlich ein paar Fische für uns aufgehoben. Wir essen uns satt – und später machen wir uns im Bootshaus ein gemütliches Bett. Kommt schon! Worauf wartet ihr noch?«
    Sie hatte sich an alle gewandt, aber eigentlich nur Lenz gemeint.
    Ein Blitzen in seinem Blick war die einzige Antwort, die sie erhielt. Wortlos. Scharf.
    Kuni spürte plötzlich, wie schwer der Beutel war, den sie stets mit sich herumschleppte. Und wie tief die Fasern in ihre Schulter schnitten.

    Der Markt wimmelte von Menschen, aber es wurden nur wenige Geschäfte gemacht. Besonders vor den Ständen der Zeiler Korbmacher drängten sich die Leute. Jeder wollte wissen, ob auch dort alles erfroren war, Wein und Korn und Gemüse.
    Die Bamberger und die Bauern aus den umliegenden Dörfern hatten sich viel zu erzählen. Jeder wusste etwas beizusteuern zu dem Temperatursturz der vergangenen Nacht, konnte von einem besonders schlimmen Unglück berichten, von jemandem, dem der Kälteeinbruch auf tragische Weise mitgespielt hatte.
    Manche hatten ihre Stände erst gar nicht aufgebaut, und die Marktbüttel, die herumgingen, um die Gebühren zu kassieren, zogen ein finsteres Gesicht, weil sie so wenig im Beutel hatten. Der Handel kam nur schleppend in Gang, weil viele Preise gestiegen waren. Manche zögerten, überhaupt etwas zu kaufen, andere rafften zusammen, was sie kriegen konnten, aus Angst, es würde in der nächsten Woche noch teurer sein. Am wenigsten geändert hatte sich bei den Pfefferküchlern und Striezelbäckern, die wegen der Kälte heißen Met anboten und regelrecht umlagert wurden.
    Auch Ava konnte sich nicht beklagen.
    Sie hatte ihre Fische in verschiedenen Körben angerichtet, die sich langsam leerten, während die Bettler, die den Platz umkreisten wie eine Schar hungriger Krähen, immer zahlreicher wurden. Sie hätte wetten können, dass auch die Kinder bald unter ihnen zu sehen sein würden. Wenn ihnen so kalt war wie ihr, brauchten sie wenigstens etwas Anständiges im Magen.
    Ihr Platz nahe dem Fischbrunnen gestattete einen ausgezeichneten Blick auf den Stand eines Frankfurters, der einige Male im Jahr nach Bamberg kam, um hier seine Stoffe zu verkaufen. Nicht einmal heute musste er sich wegen des Umsatzes Sorgen machen. Wo bei den anderen nur gestikuliert und geredet wurde, konnte er Elle um Elle abschneiden.
    »Hätt was Schönes für dich dabei«, sagte er, als zwei Kundinnen nach abgeschlossenem Handel zufrieden abgezogen waren. Sein feistes Gesicht hing wie ein Vollmond über dem engen Kragen. »Ein Rot, dem keiner widerstehen kann.« Seine Augen unter den buschigen Brauen verrieten ihn, so lüstern waren sie auf ihre Brüste gerichtet.
    So widerlich er war, sie musste trotzdem lachen. Dutzende Male hatte sie ihn schon abgewiesen, aber er gab nicht auf.
    »Meinst du, dazu brauch ich deinen Tand?«, sagte sie und rieb ihre kalten Hände aneinander. Sie hätte die dicksten Strümpfe anziehen sollen. Ihre Füße waren eisig.
    »Das schadet keiner. Nicht einmal dir. Obwohl ich zugeben muss, dass du etwas hast, was anderen fehlt. Die Otterfrau, so nennt man dich doch hier. Die Fischer haben es mir erzählt. Möcht mal wissen, weshalb. Weil du so wild bist? So unersättlich? Was machst du eigentlich mit den Männern – frisst du sie bei lebendigem Leib auf, nachdem sie dich gehabt haben?«
    Sie drehte ihm den Rücken zu. Sollte er doch reden, was er wollte! Sie wusste, wie man sich Männer vom Hals hielt. Und der Fettwanst war alles andere als eine Versuchung.
    »Sie sagen auch, du schwimmst im Fluss, wenn es Nacht wird. Dabei würd ich dir zu gern einmal Gesellschaft leisten!«
    »Mein Otter heißt Reka und hat scharfe Zähne.« Sie fuhr herum und zeigte ihm ein breites Lächeln. »Und eifersüchtig kann er werden, dass man fast Angst bekommen könnte. Ist dir noch gar nicht aufgefallen, dass so
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