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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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Gnade.«
    Beim Aufstehen war der Schmerz am Schenkel so heftig, dass er sich die Lippe blutig biss. Förner taumelte, suchte nach Halt.
    Als sein Atem wieder ruhiger ging, streifte ihn ein feiner Duft. Er schüttelte den Kopf.
    Veilchen.
    Unmöglich, aber der Geruch schien noch stärker zu werden. Sein Körper reagierte unwillkürlich. Er war froh, dass niemand ihn beobachten konnte.
    Genauso hatte Barbara gerochen. Und Gundel. Gundel mit dem hellen Haar und dem aufsässigen Blick, die seine Schubladen durchwühlt hatte und dabei an die versteckte Essenz gekommen sein musste. Vielleicht der Grund, weshalb er sie überhaupt wahrgenommen hatte. Weil sie auf einmal den Duft seiner Lieblingsschwester verströmt hatte.
    Aber Barbara war seit mehr als zwanzig Jahren tot, und was mit Gundel geschehen sein mochte, nachdem er sie vor die Türe gesetzt hatte, daran wollte er nicht einmal denken. Sie hatte die Frechheit besessen, ihm auch noch einen Brief zukommen zu lassen, nachdem sie ihn so dreist bestohlen hatte; jemand anders musste ihn verfasst haben, denn sie konnte ja weder lesen noch schreiben. Er hatte ihn nur überflogen, dann in ein Gebetbuch gesteckt und weggeschlossen. Allein der Name – die reinste Blasphemie! Nicht einmal davor war sie in ihrer abgrundtiefen Schlechtigkeit zurückgeschreckt.
    Aber bisweilen, in den allerdunkelsten Stunden, war er zum Schrank geschlichen und hatte sich dieses Machwerk erneut vorgenommen. Durch die Lagerung hatte es Barbaras Geruch angenommen. Und kaum geriet ihm der Veilchenduft in die Nase, stand ihm jedes Mal wieder ihre teuflische Verführungskunst vor Augen. Vor allem jedoch die Schwäche seines eigenen Fleisches. Deshalb gab es den Brief noch immer, so gefährlich er für Friedrich Förner auch war. Um niemals zu vergessen.
    »Monsignore? Seid Ihr zu sprechen?« Hofmeisters frische Stimme drang von unten zu ihm. »Ich bringe die neuen Abschriften.«
    »Ich komme.« Förners magere Finger strichen die Kleidung glatt. Seine Erregung verebbte. Der Stoff der Soutane war schwarz und glücklicherweise dicht genug gewebt, um Blutflecken zu verdecken. »Bemüh dich nicht. Ich bin gleich bei dir, mein Sohn.«

    Nebenan hörte sie die Männer reden, und ein Impuls war, zu ihnen hinüberzugehen, nackt, wie sie gerade war. Dann hätte alles ein für alle Mal ein Ende: das Warten, die Heimlichkeiten, die Lügen. Überrascht würden sie sein. Dabei kannten sie, was sie ihnen zu zeigen hatte. Denn mit beiden war sie vertraut, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Mit ihrem Mann Harlan das Lager zu teilen war für Agnes Pacher wie eine deftige, einfallslose Mahlzeit. Sie war den Geschmack längst leid und froh, sobald die Sättigung eintrat. Veit Sternen dagegen zu schmecken ließ sie jedes Mal nur noch hungriger zurück.
    Natürlich blieb sie, wo sie war, in der Kammer, in der sie während der Zeit des Wochenflusses geschlafen hatte und die sie am liebsten für immer behalten hätte. Nichts in der Welt zog sie zurück zu dem allnächtlichen Stöhnen und Schnarchen ihres Mannes.
    Aus der Wiege in der Ecke drang Wimmern. Sie legte die Kleider beiseite, die sie aus der Truhe geholt hatte, ging hinüber, beugte sich hinunter und steckte dem Kind einen biergetränkten Stofffetzen in den Mund, an dem es gierig saugte. Milchschorf bedeckte sein Gesicht und den kleinen Brustkorb, und sie hoffte jeden Tag, er würde endlich abfallen.
    Ein Nimmersatt, ihr erster Sohn nach zwei Töchtern, Harlans ganzer Stolz. Er hatte seinen bräsigen Schädel, seine Nase, die großen Ohren geerbt, das war schon jetzt unübersehbar. Gepaart mit seinem tyrannischen Wesen, auch daran gab es leider keinerlei Zweifel. Auf den Namen Johannes Harlan Martin hatten sie ihn taufen lassen, und Agnes hatte beschlossen, dass er ihr letztes Kind bleiben sollte.
    Dabei hatte sie die Schwangerschaft genossen. Stark und heißblütig hatte sie sich gefühlt, mit ihrem quellenden Busen, den vollen Wangen, Augen, aus denen überbordende Lebenslust blitzte. Voller Übermut war sie gewesen, so draufgängerisch, dass nicht einmal Veit ihr länger widerstehen konnte. Im Holzlager hatten sie sich getroffen, und dass es ausgerechnet Harlans Lager war, das für ihre heimlichen Liebesstunden herhalten musste, hatte alles nur noch aufregender gemacht.
    Die Geburt jedoch und alles, was danach gefolgt war, beendete ihre Liebschaft jäh. Seitdem fühlte sie sich manchmal wie ein altes Weib.
    Agnes sah an sich herunter. Eigentlich konnte sie es
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