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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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manchem aus der Fischerzunft ein paar Finger fehlen?«
    »Musst nicht gleich böse werden! Ich rede eben gern mit dir. Und bis wir zwei Hübschen uns zu Jakobi wiedersehen, ist es noch eine halbe Ewigkeit.« Er ließ nicht locker. »Willst du mein Rot nicht wenigstens mal probieren? Mein Florentiner Spiegel könnte dir gute Dienste dabei leisten.«
    Bevor sie protestieren konnte, war er schon neben ihr, wickelte ein paar Bahnen ab und drapierte sie über ihre Schultern. Dann drückte er ihr den Spiegel in die Hand.
    »Wie eine Königin.« Sein Ton gestattete keine Widerrede. »Sag selber!«
    Der Spiegel zeigte ein breites, bräunliches Gesicht, mit ausgeprägten Wangenknochen und dunklen Augen, die weit auseinander standen. Die Nase war kurz und gerade. Lippen, die zunächst spöttisch verzogen waren, dann weicher wurden. Das Rot stand ihr, keine Frage. Und der Stoff lag so zart auf der Haut wie eine Liebkosung.
    »Seide«, seine Stimme vibrierte, weil er sie schon am Haken glaubte, »feinste, reinste Seide! Der Liebste könnt darüber vollständig den Verstand verlieren …«
    Wo blieb er eigentlich? Sie hatte schon ein paarmal den Hals gereckt, weil sie glaubte, ihn in dem Gewimmel entdeckt zu haben. Aber der Krippenschnitzer war nirgends zu sehen. War alles doch nur Einbildung gewesen?
    Seine Hände? Seine Worte?
    Mit einer jähen Bewegung zog Ava den Stoff herunter und drückte ihn dem feisten Frankfurter in die Hand.
    »Otterfett verdirbt jede Seide«, sagte sie. »Bis zum Jüngsten Tag. Hast du das nicht gewusst?«
    Beleidigt zog er sich zurück. Für heute würde sie Ruhe vor ihm haben.

    Bei jeder Bewegung schnitt das Stachelband noch tiefer in seinen Schenkel. Er begrüßte den Schmerz wie einen alten Freund. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er es wieder angelegt und tief in sich eine Welle von Glück gespürt. Damals war er kreuz und quer durch die Diözese geritten, bis an die Grenzen Thüringens, um vom Glauben Abgefallene aufzurütteln und verlorenen katholischen Boden zurückzugewinnen.
    Seine Mission war leider nicht so erfolgreich gewesen, wie er es sich gewünscht hätte. Denn in jener Zeit hatte es ihm an den richtigen Mitstreitern gefehlt. Glücklicherweise sah das heute anders aus. Sein Widersacher war erledigt, der Fürstbischof stand auf seiner Seite, und keiner, dem sein Leben lieb war, würde es wagen, ihn noch einmal anzugreifen, ihn, den Weihbischof Bambergs.
    Was wichtiger war denn je.
    Denn sie waren zurück. Nur eine knappe Woche nach Christi Himmelfahrt hatte die Teufelsbrut sich wieder gemeldet.
    Anzeichen dafür hatte es genug gegeben, zuletzt die graue Katze, die plötzlich vor seiner Türe gesessen und ihn angemaunzt hatte. Er hasste diese Tiere, elende Nachtgeschöpfe, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihn zu verhöhnen. Mehrmals war er versucht gewesen, Fuchs von Dornheim davon zu berichten – um es dann doch lieber zu unterlassen. Er wollte erst ganz sicher sein, Beweise haben, die keiner widerlegen konnte.
    Friedrich Förner ließ die Perlen des Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. Glatt und kühl war der Bergkristall, und er vermisste die Wärme der Korallen, die sich in seinen Händen immer so lebendig angefühlt hatten. Sie fehlten ihm. Seit er sie nicht mehr hatte, schien alles schwerer geworden.
    Er begann sein Gebet.
    Sein Herz gehörte der Himmelsmutter, seit er denken konnte, und die Zeit im römischen Germanicum hatte seine Liebe und Verehrung noch inniger werden lassen. Der himmlischen Jungfrau hatte er alles zu verdanken – sein Talent als Prediger, den scharfen Verstand, sogar das Amt, nach dem er sich so lange gesehnt hatte. Dem Jahreskreis nach wären heute die freudenreichen Geheimnisse an der Reihe gewesen. Die Ereignisse der vergangenen Nacht aber ließen nur die schmerzhaften Mysterien zu. Ohnehin fühlte er sich Maria am nächsten, wenn er sich in die Passion ihres Sohnes versenken konnte.
    Sonst ließ der gleichmäßige Rhythmus des Sprechens seine Seele zur Ruhe kommen. Förner liebte das Murmeln, das die Welt draußen ausschloss und direkt in sein Innerstes zu dringen schien. Oftmals konnte er schon beim ersten Vaterunser die Tränen nicht mehr zurückhalten. Heute jedoch ließ die ersehnte Versenkung auf sich warten.
    Riefen sie schon wieder nach ihm, jene Kräfte der Finsternis?
    Und wenn schon – er war bereit, ihnen den Kampf anzusagen, mit allen Mitteln!
    Durch den Kamin konnten sie nicht mehr, dafür hatte er gesorgt. Die neue Platte
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