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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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aus schwerem Eisen, in die er den Schmied die gekreuzten Palmzweige hatte punzieren lassen, versperrte den Weg. Außerdem lagen unter jeder Schwelle gefaltete Schutzbrieflein gegen böse Geister. Die Summe, die er dafür investiert hatte, war enorm, aber was sollte er machen? Inzwischen waren sie fast so teuer geworden wie einfache Reliquien.
    Hatte er eigentlich die Haustüre abgeschlossen?
    Ein Gedanke, der ihn unablässig quälte. Das Kreuz über dem Rahmen reichte nicht aus. Ebenso wenig das C+M+B, das in Kreide darüber prangte. Manchmal musste er sogar mitten in der Nacht aufstehen, um sich zu vergewissern. Aber waren all diese Maßnahmen ausreichend? Es gab Tage, wie heute, da zweifelte er daran. Dann jedoch tröstete ihn wieder die Vorstellung, dass er den Schlüssel mindestens dreimal im Schloss umgedreht hatte.
    Plötzlich fiel ihm ein, dass er ja nicht allein im Haus war. Apollonia fuhrwerkte unten in der Küche herum, rau, ungelenk und viel zu laut, wie immer.
    Wie unwohl er sich fühlte!
    Das Mal am Hals war aufgegangen, schuppte, nässte. Die hohen, steifen Kragen, die er niemals ablegen konnte, forderten ihren Tribut. Er fror. Und er war hungrig. Nicht, weil er sich bewusst zum Fasten entschlossen hätte, sondern weil der Fraß, den sie ihm vorsetzte, seinen empfindlichen Magen jeden Tag stärker beleidigte. Auf zwei Punkte hatte er sein Augenmerk gerichtet, als sie bei ihm vorgesprochen hatte: dass sie alt und möglichst hässlich war. Der üble Geruch, den sie verströmte, bestärkte ihn zusätzlich in seiner Wahl. Kein Teufel würde ihm jemals diese Kreatur schönreden können, so viel war gewiss.
    Die Folgen waren erheblich. Er war so mager geworden, dass seine Soutanen schlotterten und Kinder wegliefen, wenn sie sein ausgezehrtes Gesicht sahen, das ein schwarzer Bart noch finsterer machte. Sodbrennen und Durchfall musste er ertragen, und nach all diesen Malaisen fühlte er sich so schwach, dass er sogar Stimmen vernahm. Darüber verriet er natürlich niemandem etwas, nicht einmal Gabriel Hofmeister, seinem Sekretär, der ebenfalls unter dem schlechten Essen litt. Mehr als einmal hatte er ihn schon beschworen, Apollonia lieber heute als morgen vor die Türe zu setzen.
    Förner hörte nicht auf ihn.
    Was bedeuteten schon körperliche Unannehmlichkeiten, wenn dafür seine Seele in Sicherheit war? Schlimm genug, dass sie einmal schon so großen Schaden genommen hatte. Bis zum Totenbett würde er sich diese Verfehlung nicht verzeihen. Auch deshalb schloss er seinem Rosenkranz stets die Worte von Bruder Klaus an.
    »Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir …«
    Ein Schmerzenslaut kam über seine Lippen. Der Stacheldorn schien seinen Knochen zu durchbohren. Für einen Augenblick war er versucht, das eiserne Band zu lösen, dann aber blieb er stark.
    Er würde nicht zaudern oder zweifeln, nicht noch einmal. Förner wusste, was zu tun war. Und das Wichtigste war, keine Zeit zu verlieren. Auch dafür hatte er gesorgt. Alle Akten der alten Drutenverfolgung lagen bei ihm, buchstabengetreu abgeschrieben. Das war Gabriel Hofmeisters Bewährungsprobe gewesen, und dass er sie zu seiner vollständigen Zufriedenheit gelöst hatte, nahm ihn sehr ein für den jungen Mann.
    Die passende Lektüre für lange Abende, wenn der Sturm um die Häuser fegte. Die Menschen waren inzwischen an kalte Winter und nasse Sommer mit geringer Ernte gewöhnt. Aber was heute Nacht passiert war, war etwas anderes: als hätte die Hand des Teufels die Natur persönlich niedergedrückt. Ein Zeichen. Eine Strafe für all die, die vom rechten Glauben abgefallen waren.
    Doch dieser Spuk würde bald ein Ende haben. Vor sieben Jahren hatten Förner und seine Getreuen kurz vor dem Ziel aufgeben müssen, bedrängt von einflussreichen Familien, die dafür sorgten, dass ihnen schließlich der Geldhahn zugedreht wurde. Einer davon hatte sich besonders hervorgetan, jemand, der auch heute noch ein hohes Amt bekleidete, als hätte sein damaliges Handeln eine besondere Auszeichnung verdient – Kanzler Kilian Haag.
    Der Hass auf jenen Widersacher und alle, die wie der Braumeister Haller gemeinsame Sache mit ihm gemacht hatten, brannte noch immer in ihm, eine Flamme, die er sorgsam gehütet hatte. Jetzt bekam sie neue Nahrung, loderte auf wie ein Feuer, in das der Wind fährt.
    »Ich krieg euch – euch alle.« Er ließ den Rosenkranz sinken und legte ihn schließlich ganz beiseite. »Und dieses Mal gibt es keine
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