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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Vorwort
    Aller Umgang mit Anderen hat mit Liebe zu tun. Und mit ihrer Entbehrung. Am schmerzlichsten ist die Entbehrung bei der Art von Liebe, die in den Augen vieler »die Beziehung« schlechthin darstellt. Unproblematisch war diese Beziehung wohl nie, problematisch aber aus immer anderen Gründen. Zum Problem wird in moderner Zeit ausgerechnet die hart erkämpfte Freiheit der Liebe , nach ihrer Befreiung von religiösen Normen, traditionellen Rollenverteilungen, konventionellen Vorstellungen, auch vom Naturzweck, der Menschen lange um der Fortpflanzung willen lieben ließ: Die freie Liebe erweist sich als schwierig und zieht immer vernehmlicher die Frage nach dem Warum und Wozu nach sich. Für eine historische Weile beantwortet die romantische Liebe die Sinnfrage noch mit dem Versprechen unendlicher Glücksgefühle, bevor sie selbst zerrieben wird zwischen dem Wohlgefühl, das von ihr erwartet, und den Problemen, die nicht in ihr vermutet werden; immer häufiger gerät sie in Konflikt mit der Endlichkeit, mit der sie sich nicht befassen will. Die erhoffte Verschmelzung ihrer Ichs , die die Liebenden in ihr suchen, kollidiert heillos mit dem Anspruch auf Freiheit ihrer Ichs , bei der sie keine Einschränkung dulden, und bei jedem Scheitern steht rasch sehr viel mehr in Frage als die Liebe selbst: Auch die Beziehung zum Leben, zur Welt überhaupt. So mutiert die romantische Liebe im Laufe der Moderne zu einer Monsterqualle , die mit unsichtbaren Fäden zarte Wesen umgarnt, sie zersetzt und verschlingt. Manche glauben weiterhin mit religiöser Inbrunst an sie, Andere sind restlos enttäuscht von ihr, vielearrangieren sich mit der alltäglichen Tristesse dessen, was doch einmal Liebe war, und begnügen sich mit der Erkenntnis, dass Liebesgefühle aus einem Cocktail von Molekülen bestehen, von dem nichts bleibt, wenn der Rausch verflogen ist.
    Vielleicht kann, neben anderen Disziplinen, die Philosophie bei der Klärung und Lösung der Schwierigkeiten der Liebe behilflich sein. Es trifft sich gut, dass sie selbst eine Art von Liebe ist, wörtlich eine Liebe zur Weisheit , eine philia , auf sophia gerichtet, von ihr inspiriert, wenngleich ohne Aussicht darauf, die Geliebte jemals vollständig in Besitz nehmen zu können. Begehrenswert an der Weisheit erscheinen das gründlichere Verstehen, die größere Umsicht, das überlegtere Handeln, das bewusstere Lassen. Das Philosophieren ist ein Innehalten und Nachdenken, um gemachten Erfahrungen nachzugehen, Schlüsse aus ihnen zu ziehen und sich damit auf künftige Erfahrungen vorzubereiten. Diese immer neue Orientierung des Lebens im Denken ist eine Grundidee der Philosophie seit Sokrates, ein ausdrückliches Anliegen der Aufklärung seit Kant. Wer philosophiert, bemüht sich darum, Zusammenhänge besser zu verstehen, um im Leben besser damit umgehen zu können. Die Orientierung im Denken ermöglicht schließlich eine bewusste Lebensführung, eine Lebenskunst , auch wenn kein Leben in ständiger Bewusstheit damit gemeint sein kann, nur eines, das die »lichten Momente« nutzt, die sich im Leben immer wieder von selbst ergeben.
    Die Orientierung im Denken, die hier nun der Liebe gelten soll, zielt darauf, brauchbare Antworten auf drängende Fragen zu finden, auf deren endgültige Beantwortung kaum zu hoffen ist: Warum die Liebe so schwierig ist und wie sie dennoch gelebt werden kann. Abschließendes zur Liebe sagen zu wollen, wäre von Anfang an verfehlt, aber die Orientierung imDenken kann dem Einzelnen helfen, mit mehr Klarheit von ihr zu lassen oder wieder zu ihr zu finden, sie auch neu zu erfinden, wenn es erforderlich erscheint. Dazu will dieses Buch beitragen, um möglichst das zu erreichen, was Sokrates in Platons Symposion , diesem ältesten philosophischen Buch »Über die Liebe« ( Peri erotos ), einst für sich in Anspruch nahm: »Stark zu sein in Liebesdingen«. Die gleichgeschlechtliche Liebe, in sokratischer Zeit noch akzeptiert, dann bis weit in die Moderne hinein geächtet, ist dabei von vornherein mit gemeint. Und wo immer im vorliegenden Buch vom »Anderen« die Rede ist, steht dies auch für »die Andere«. Die Einzahl wiederum soll keineswegs eine Mehrzahl oder Vielzahl von Anderen, die geliebt werden können, ausschließen, aber auch beim Plural hat der Liebende meist mit je einem singulären, bestimmten Anderen zu tun.
    Der Weg der Philosophie ist ein Weg der Besinnung , des »Sinnierens« im Wortsinne: Es geht dabei um das Suchen, Finden und Herstellen
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