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Die Herrin der Kelten

Die Herrin der Kelten

Titel: Die Herrin der Kelten
Autoren: Manda Scott
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bedeutete »weiß« in der Sprache der Iren. Er hatte das gewusst, seit er alt genug gewesen war, um den Klang des Wortes zu erkennen. Er hatte allerdings nie den Grund dafür herausgefunden, warum er diesen Namen trug. Vielleicht war er jetzt klar.
    Die Großmütter tauschten einen Blick über seinen Kopf hinweg und sahen einander schweigend an. Seine Mutter kam um das Feuer herum, um sich neben ihn zu knien. Die neuen Falten in ihrem Gesicht waren plötzlich wieder verschwunden. »Bán? Du hast von einem Pferd mit einem weißen Kopf geträumt? Ganz weiß?«
    »Ja. Das heißt, nein. Nicht ganz weiß. Es hatte einen schwarzen Fleck zwischen den Augen, wie ein Schild mit einem quer darüber liegenden Schwert.«
    »Und was hast du in dem Schwarz gesehen?« Diese Frage kam von der älteren Großmutter, der ältesten von allen Frauen des Stammes, die die Cousine der Mutter seiner Mutter war. Ihr Haar war weiß und so dünn, dass man die glatte Kopfhaut von einem Ohr bis zum anderen durchschimmern sehen konnte. Die Haut ihres Gesichts war so runzelig und braun wie die abgeschabte Rinde von einer Eiche. Ihre Augen waren wässrig braun, mit Gelb an den Rändern, und die schwarze Pupille in der Mitte trübte sich auf eine Art und Weise, die erkennen ließ, dass sie bald vollkommen blind sein würde. Aber an diesem Abend war sie nicht blind. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie nahmen das Licht des Feuers auf und strahlten geradewegs durch seinen Schädel hindurch, um die Erinnerung an den Traum zu beleuchten. So musste es sein. Woher konnte sie sonst wissen, dass er in dem schwarzen Sonnenrad auf dem Kopf des Pferdes etwas gesehen hatte?
    »Ich weiß es nicht.« Bán runzelte die Stirn, während er sich zu erinnern versuchte. In seinem Traum hatte er genau gewusst, was es war. Es hatte bewirkt, dass alles andere einen Sinn für ihn ergab. Doch jetzt war es bloß noch ein schwarzer Fleck in Form eines Schildes, der ihm das Spiegelbild von etwas anderem gezeigt hatte. Er bemühte sich angestrengt, sich zu erinnern, und konnte es doch nicht. In den Augen seiner Mutter sah er die eigene Anstrengung reflektiert. »Tut mir Leid«, sagte er schließlich. »Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern.«
    Seine Mutter hatte in der Zwischenzeit den Welpen hochgehoben und rieb jetzt gedankenverloren seine Brust, während ihr Blick noch immer auf ihrem Sohn ruhte. Eine der Großmütter klopfte ihr auf die Schulter, und ohne aufzublicken reichte sie den Welpen über den Rauch des Feuers hinweg. Breaca nahm ihn entgegen und begann ihn zu beatmen, indem sie ihren Mund auf seine Schnauze drückte und in seine Lungen hineinblies. Irgendjemand musste ihr das beigebracht haben, und zwar erst kürzlich; sie hatte noch nicht gewusst, was zu tun war, als das Hengstfohlen im Fluss ertrunken war. Eine der anderen Frauen hob eine Falte ihres Umhangs und begann, mit dem Stoff kräftig über das Herz des Welpen zu reiben.
    Etwas hatte sich verändert. Sie waren jetzt bereit, das Tierchen wieder ins Leben zurückzuholen. Bán wollte dabei zuschauen, wollte helfen, aber seine Mutter zog ihn um das Feuer herum, so dass er ihr gegenüber saß, mit dem Rücken zu der Hündin und dem Welpen.
    »Erzähl mir deinen Traum«, sagte sie.
    Er erzählte ihr alles, woran er sich noch erinnern konnte. Das Erzählen nahm weniger Zeit in Anspruch, als er zum Träumen gebraucht hatte. Doch am Ende konnte er ihr noch immer nicht sagen, was das war, was er gesehen hatte, als das Pferd den Kopf herumdrehte. Nur das Gefühl, das er dabei empfunden hatte, war noch in seiner Erinnerung haften geblieben, und das konnte er nicht so recht in Worte kleiden.
    »Hattest du Angst?«, wollte seine Mutter wissen.
    »Nein. Beim ersten Mal schon, aber beim zweiten Mal nicht mehr. Ich wusste, ich hatte nichts zu befürchten.«
    »Du hast noch nicht einmal Angst gehabt, als du von dem Schwert getroffen wurdest?«
    »Nein.« Das verwirrte ihn. Er hätte sich eigentlich vor dem Schwert fürchten müssen. Aber andererseits war er ein Krieger in der Schlacht gewesen, und sein Vater hatte ihm einmal erzählt, dass manche Krieger in der Raserei des Kampfes über ihre Angst hinauswuchsen. Er blickte auf seinen linken Arm hinunter. Er war genauso heil und unversehrt wie der rechte. »Vielleicht wusste ich, dass es nicht real war.«
    »Vielleicht.« Sie glaubte es offensichtlich nicht. Auf der anderen Seite des Feuers wimmerte etwas, so schwach und leise wie das Säuseln des Windes im
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