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Venus und ihr Krieger

Venus und ihr Krieger

Titel: Venus und ihr Krieger
Autoren: Susan Hastings
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Erstes Kapitel
DAS DORF AUF DER LICHTUNG
    Morgennebel stieg aus dem wannenförmigen Tal, in das die ersten goldenen Sonnenstrahlen fielen. Umhüllt von den hellgrauen Gipfeln der Alpen wie durch beschützende Hände lag das Dorf noch im Schlaf. Es mochten etwa zwanzig längliche Hütten sein, die sich über das flache Tal streuten. Nur an dem Krähen der Hähne, dem Bellen der Hunde und dem aufsteigenden Rauch aus den Dachöffnungen war zu erahnen, dass es hier auch menschliches Leben gab. Die Häuser zeigten alle die gleiche Ausrichtung nach Osten. Durch den Eingang an der Südseite gelangte Licht in das dämmrige Innere eines der Häuser. Zwei Reihen kräftiger Holzpfosten begrenzten die geräumige Diele. Links und rechts vom Mittelgang standen kleinwüchsige Ochsen und Kühe in den Boxen und muhten unruhig.
    Aus dem Westteil des Hauses vernahm man ein verhaltenes Schnarchen. Zahlreiche Bänke und Liegen zogen sich an den rutengeflochtenen Wänden entlang um die zentral gelegene Herdstelle. Nur noch schwache Glut glimmte zwischen den Herdsteinen.
    Ein hoch gewachsenes Mädchen trat aus dem Wohnbereich in den Dielengang und reckte sich. Sie packte einen Arm voll Reisig, das neben der Tür lag, und trug es zum Herd. Mit einem eisernen Haken fachte sie die Glut an, legte vorsichtig das Reisig auf und wartete, bis die Flammen an den Zweigen emporzüngelten. Erst dann packte sie größere Holzscheite auf.
    In der Zwischenzeit hatte sich eine zweite Frau von ihrem Lager erhoben. Sie war wesentlich älter, durch ihr blondes Haar zogen sich graue Strähnen. Beide Frauen ergriffen größere Keramikgefäße und verließen das Haus. Ihr Weg führte an den geflochtenen Weidezäunen vorbei den Hang hinab, wo ein schmaler Bach seinen Weg ins Tal suchte. Die Frauen setzten sich an das grasbewachsene Ufer und begannen eine ausgiebige Morgentoilette. Sie legten ihre Kleidung ab und wuschen sich mit dem eiskalten Wasser der Berge, bis sich ihre helle Haut rötlich färbte. Erst dann kleideten sie sich wieder an. Die Kleidung bestand bei beiden Frauen aus einem ärmellosen leinenen Unterkleid, das bis zu den Knöcheln reichte, einer einfach geschnittenen Bluse mit langen Ärmeln und einem in Falten gelegten Rock, der von einem ledernen Gürtel gehalten wurde. Einziger Schmuck waren die großen, kreisförmigen Platten der Gürtel. Dann begannen die Frauen, sich gegenseitig ihre Haare zu kämmen und einzuflechten. Die jüngere der beiden hatte außerordentlich langes, leuchtend blondes Haar, das die andere zu zwei fast armdicken Zöpfen verflocht. Ein schmales, aus gefärbtem Leder gefertigtes Stirnband vervollständigte die Frisur. Erst danach erhoben sie sich und füllten die Keramikgefäße mit Wasser. Beide Frauen schlenderten mit ihrer Last zum Haus zurück. Aus dem Eingang drängten laut brüllend die Ochsen und Kühe und verteilten sich auf der grünen Weide, die sich neben dem Haus erstreckte. Hinter den Tieren trat ein großer blonder Junge heraus, der auf die letzten Ochsen mit einer Knute klopfte. Dabei gähnte er herzhaft und rieb sich die Augen. Er war völlig nackt.
    »Hast du deinen Rausch noch nicht ausgeschlafen, du Saufsack?«, schimpfte die ältere Frau und spritzte kaltes Wasser nach dem Jungen. Der lachte und schüttelte sich. Er warf den Stock beiseite, lief zum Bach hinunter und sprang mit einem lauten Aufschrei in die eisigen Fluten.
    »Ich werde die Männer wecken«, sagte die jüngere Frau und verschwand wieder im Haus, während die ältere sich unter eine Kuh hockte und zu melken begann.
    Das Mädchen mit den blonden Zöpfen setzte den Wasserkrug auf die Herdsteine und schürte das Feuer neu an. Im Schein der Flammen konnte sie die anderen Personen auf den Liegen ausmachen, die sich jetzt träge bewegten. Mit einem Plumps fiel ein kräftiger Mann von seiner Bank und landete unsanft auf dem gestampften Boden der Diele. Er fluchte laut und rappelte sich unter seiner Felldecke wieder hoch.
    »Guten Morgen, Vater! Es ist ein wunderschöner Tag zum Pflügen der nördlichen Felder. Der Boden riecht gut, und wenn wir der Erdgöttin Nerthus ein Opfer darbringen, wird sie uns in diesem Jahr mit einer reichen Ernte bedenken.«
    »Sigrun, kümmere du dich um den Haushalt und das Bier – oh, das Bier war gut! Mein Schädel brummt, als wenn ein Bär seine Pranke draufgehauen hätte.«
    Sigrun lachte und half dem Vater, sich aus seiner Decke auszuwickeln. »Du weißt, dass heute Helfgurd einen Vermittler schicken will.
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