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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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funkelnden Helm ragte eine blonde Mähne hervor. Sein Schwert hielt er jetzt direkt vor Jakob Kuisls Halsbeuge.Mittlerweile hatte sich eine kleine Menge Schaulustiger um sie versammelt, die gespannt darauf warteten, was als Nächstes passierte.
    »So ist’s gut«, sagte der Hauptmann mit einem schmalen Lächeln. »Du wirst dich jetzt umdrehen, und wir gehen gemeinsam die Treppe hoch in den Torturm. Dort haben wir für Leute aus Bayern ein feines Quartier zum Nachdenken.«
    Der oberste Torwächter schob seine Schwertspitze nur wenige Zentimeter an den Hals des Henkers heran, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Kurz war Kuisl versucht, das Schwert zu packen, den Mann zu sich herzuziehen und ihm den Lärchenholzknüppel zwischen die Hosenbeine zu schieben. Aber dann bemerkte er die anderen Wachen, die mit erhobenen Lanzen und Hellebarden um ihn herumstanden und sich tuschelnd unterhielten. Warum hatte er sich nur reizen lassen! Fast schien ihm, als ob der Wachmann es darauf angelegt hätte, ihn zu provozieren. Gingen die Regensburger etwa mit allen Fremden so um?
    Jakob Kuisl drehte sich um und marschierte auf den Turm zu. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn freiließen, bevor seine Schwester den lieben Herrgott traf.
    Als sich die Tür hinter dem Henker schloss, platschten draußen die ersten Regentropfen aufs Pflaster. Schon bald darauf prasselte der Regen so dicht, dass die Wartenden vor dem Tor ihre Mäntel über sich hielten oder in den umliegenden Heustadeln Schutz suchten. Hagelkörner, groß wie Taubeneier, fielen vom Himmel, und so mancher Bauer fluchte, dass er die Ernte nicht früher eingebracht hatte. Es war bereits das dritte große Gewitter in dieser Woche, die Leute beteten und rückten unter dem Herrgottswinkelin der Stube eng zusammen. Nicht wenige Bewohner der umliegenden Dörfer erkannten in der Sintflut den gerechten Zorn Gottes. So strafte er das zügellose Treiben der verfluchten Städter! Die bunten Kleider, das Schachern, den Besuch bei den Dirnen und den Hochmut, immer noch höhere Häuser bauen zu wollen. Waren Sodom und Gomorra nicht auf ganz ähnliche Weise zugrunde gegangen? Mit dem Reichstag im nächsten Januar würden wieder all die aufgeblasenen hohen Herren kommen, sie würden saufen und huren und statt der Messe ihre eigene Macht zelebrieren – wo doch der Herrgott allein über das Wohl und Wehe des Deutschen Reichs entschied!
    Unter lautem Krachen schlug ein Blitz oben im Wehrgang ein. Ein Donnern folgte, das die Kinder noch bis zum Emmeransplatz weinen ließ. In dem kurzen Flackern des darauffolgenden Blitzes sah man nun, wie eine Gestalt sich vom Jakobstor Richtung Stadt kämpfte. Der Mann ging gebückt, Hagel und Regen schlugen ihm ins Gesicht. Kein anderer wagte sich bei solch einem Wetter auf die Straße. Doch der Mann musste Meldung machen.
    Die Narbe in seinem Gesicht schmerzte, wie so oft, wenn sich das Wetter änderte. Fast wäre ihm der Henker entkommen, doch der Mann hatte gewusst, dass sein Feind durch das Jakobstor musste. Kein anderer Weg führte vom Westen her in die Stadt hinein. Also war er von der Floßlände auf dem schnellsten Weg zum Tor gerannt und hatte die Wachen benachrichtigt. Mit ein bisschen Geld war nun die nötige Zeit gewonnen, die sie brauchten, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
    Rache  … Wie lange hatten sie beide darauf gewartet!
    Der Mann grinste, und die Narbe in seinem Gesicht begann nervös zu zucken.

2
    Schongau, den 13 . August
anno domini 1662
    D er Sommer lag wie eine alte muffige Decke über Schongau.
    Mit wehendem Kleid lief Magdalena Kuisl den schmalen, eingewachsenen Pfad vom Gerberviertel hinunter zum Lech. Ihre Mutter hatte ihr für heute freigegeben, der strenge Vater war weit weg, und so stürmte sie durch die kühlen, schattigen Auen, froh, der Schwüle und dem Gestank entfliehen zu können.
    Magdalena freute sich auf ein Bad im Fluss, denn in ihren verfilzten schwarzen Haaren hing noch immer der Geruch von Mist, Kot und Moder. Den ganzen Vormittag hatten ihre Mutter und sie den städtischen Unrat mit Schaufeln auf den Karren geladen, sogar die neunjährigen Zwillinge Georg und Barbara hatten mithelfen müssen. Eine Arbeit, die schwerer fiel als sonst, weil Magdalenas Vater vor einigen Tagen nach Regensburg aufgebrochen war. Als Henkersfamilie hatten die Kuisls dafür zu sorgen, dass die Schongauer Gassen frei von Unrat und Tierkadavern waren. Jede Woche türmten sich an den Ecken und Kreuzungen der Stadt Berge von
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