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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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Stielpfeife. Verdeckt vom Hut musterte er Reisende und Flößer, die nun in der Mitte zwischen den Kisten standen und mit einem Schluck Branntwein auf den überstandenen Schrecken anstießen. Kuisl plagte ein Gedanke, der kam und ging wie eine lästige Schnake und der nur kurzzeitigdurch die Strudel an der Langen Wand verdrängt worden war.
    Seit seiner Abreise hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.
    Es war keine Gewissheit, nur ein Zusammenspiel aus Instinkt und jahrelanger Erfahrung, die er sich in seiner Zeit als Söldner im Großen Krieg erworben hatte. Ein leichtes Jucken zwischen den Schulterblättern. Er wusste nicht, wer ihn beobachtete und warum, aber das Jucken blieb.
    Kuisl sah sich um. Unter den Passagieren befanden sich zwei Franziskanermönche und eine Nonne, ansonsten gab es fahrende Handwerker, Wandergesellen und einige einfache Kaufleute. Gemeinsam mit dem Henker waren sie eine Gruppe von etwa zwei Dutzend, die sich dem Konvoi der fünf Flöße angeschlossen hatten. Hier auf der Donau war es möglich, in nur einer Woche bis nach Wien, in drei Wochen sogar bis zum Schwarzen Meer zu reisen. Abends, wenn die Flöße gemeinsam am Ufer anlegten, traf man sich am Feuer, wechselte das eine oder andere Wort miteinander und erzählte von früheren Reisen und Gefahren. Nur Kuisl kannte niemanden und saß deshalb meist allein, was ihm nur recht war, hielt er doch die meisten Menschen ohnehin für tratschsüchtige Einfaltspinsel. Von seinem Platz am Rand aus beobachtete der Henker jeden Abend die Männer und Frauen, wie sie um das Feuer saßen, lachten, billigen Wein tranken und an ihren Hammelkeulen nagten. Und immer wieder glaubte er einen Blick zu spüren, der unentwegt auf ihn gerichtet war. Auch jetzt zur Mittagszeit juckte es ihn wie von einem kleinen Käfer zwischen den Schulterblättern.
    Jakob Kuisl ließ die Beine vom Holzfass baumeln und tat gelangweilt. Er stopfte seine Pfeife neu und blickte hin zumfernen Ufer, als würde er dort die Horde von Kindern mustern, die ihm von der Böschung aus zuwinkten.
    Ganz plötzlich jedoch wendete er seinen Kopf Richtung Heck.
    Für den Bruchteil einer Sekunde bemerkte er, wie eine Gestalt zu ihm herüberstarrte. Es war der zweite Steuermann, der das Ruder am hinteren Teil des Floßes führte. Soweit sich Kuisl erinnern konnte, war er in Schongau zugestiegen. Der Mann war beleibt und fast so groß wie der Henker, an der Seite seines blauen Jankers baumelte ein unterarmlanger Hirschfänger. Seine Schultern waren breit, ein mächtiger Bauch wölbte sich über den kupfernen Gürtel und die Kniehose, die in groben, hohen Lederstiefeln steckte. Auf dem Kopf trug er den bei Flößern üblichen Stopselhut. Am auffälligsten aber war das Gesicht des Mannes. Die gesamte rechte Hälfte war ein zerfurchter Acker von kleinen Kratern und Narben, die vermutlich von starken Verbrennungen herrührten. Über einer Augenhöhle hatte der Mann eine schwarze Klappe; hinzu kam ein rötlich schimmernder Narbenwulst, der von der Stirn bis zum Kinn reichte und wie ein fetter Wurm hin und her zu zucken schien.
    Kurz hatte Jakob Kuisl das Gefühl, kein Gesicht, sondern eine Fratze vor sich zu sehen.
    Eine Fratze des Hasses.
    Der Augenblick verging, und der Steuermann beugte sich wieder über sein Ruder. Er hatte sich vom Henker abgewandt, als hätte ihr kurzer Blickkontakt nie existiert.
    Ein Bild aus der Vergangenheit huschte durch Kuisls Kopf, doch er konnte es nicht fassen. Träge floss die Donau an ihm vorüber und nahm die Erinnerung mit. Was blieb, war eine vage Ahnung.
    Wo um alles in der Welt …?
    JakobKuisl kannte diesen Mann. Er wusste nicht woher, aber sein Instinkt warnte ihn. Der Schongauer Scharfrichter hatte als Söldner im Großen Krieg die verschiedensten Menschen kennengelernt, Feige und Tapfere, Aufrechte und Verschlagene, Opfer und Mörder, darunter viele, die der Krieg wahnsinnig gemacht hatte. Eins konnte Kuisl mit Sicherheit sagen: Der Mann, der nur wenige Schritte von ihm entfernt gemächlich die Ruderstange durch das Wasser zog, war gefährlich. Gerissen und gefährlich.
    Behäbig rückte der Henker den Knüppel aus Lärchenholz an seinem Gürtel zurecht. Alles in allem kein Grund zur Sorge. Es gab genügend Menschen, die das Gleiche von ihm behaupteten.
    Jakob Kuisl verließ das Floß in dem kleinen Dorf Prüfening, bereits einige Meilen vor Regensburg.
    Der Henker grinste, während er seinen Sack mit den Arzneien schulterte und den Rottflößern, Händlern
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