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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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und Handwerkern noch einmal zuwinkte. Wenn dieser Fremde mit dem verbrannten Gesicht wirklich hinter ihm her war, hatte er jetzt ein Problem. Als Steuermann konnte er schlecht von Bord gehen, bevor das Floß in Regensburg anlandete. Tatsächlich starrte der Flößer mit seinem gesunden Auge zu ihm herüber, fast schien es, als wollte auch er auf die kleine Mole springen – doch dann besann er sich offenbar eines Besseren. Ein letzter hasserfüllter Blick, nur einen Augenblick lang, so dass kein anderer es bemerkte, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu und wickelte glitschige, armdicke Taue um den Molenpfosten.
    Das Floß blieb vertäut, bis einige wenige Reisende für die kurze Passage nach Regensburg eingestiegen waren, dannlegte es ab und glitt gemächlich auf die Reichshauptstadt zu, deren höchste Türme bereits am Horizont zu sehen waren.
    Jakob Kuisl blickte dem Floß kurz nach, dann pfiff er einen Landsermarsch und schritt auf der schmalen Straße Richtung Norden. Schon bald hatte er das kleine Dorf verlassen, links und rechts breiteten sich im Wind wogende Kornfelder aus. Ein Grenzstein markierte die Linie, wo Kuisl bayerisches Territorium verließ und die Gefilde der freien Reichsstadt Regensburg betrat. Bislang kannte er den berühmten Ort nur aus Erzählungen. Er wusste, dass Regensburg zu den größten Städten im Reich zählte und direkt dem Kaiser unterstellt war. Und er hatte gehört, dass sich hier auf sogenannten Reichstagen die Kurfürsten, Bischöfe und Herzöge trafen, um über die Geschicke des Reiches zu verhandeln.
    Als Kuisl jetzt in der Ferne die hohen Stadtmauern und Türme aufragen sah, überfiel ihn ein Gefühl von Heimweh. Der Schongauer Henker war für die große Welt nicht gemacht, ihm reichten das Sonnenbräu-Wirtshaus gleich hinter der Kirche, der grüne Lech und die tiefen bayerischen Wälder.
    Es war ein heißer Mittag im August, die Sonne stand direkt über ihm am Himmel und ließ das Getreide gelb aufleuchten. Weiter hinten am Horizont ballten sich die ersten schwarzen Gewitterwolken. Rechts ragte aus den Feldern ein Galgenhügel auf, auf dem einige Gestalten sanft hin- und herschaukelten. Verfallene Schanzanlagen zeugten davon, dass der Große Krieg noch nicht lange vorüber war. Längst war der Henker nicht mehr allein auf der Straße. Kutschen und einzelne Reiter preschten an ihm vorbei, Ochsen zogen gemächlich die Karren der Bauern aus dem Umland. Ein breiter Strom von Menschenwälzte sich lärmend und schreiend auf Regensburg zu und staute sich schließlich vor einem hohen Tor in der westlichen Stadtmauer. Zwischen den ärmlich in Wolle und grobes Tuch gekleideten Bauern, den Pilgern, Bettlern und Fuhrleuten konnte Jakob Kuisl auch immer wieder einen Blick auf prächtig ausstaffierte Edelleute erhaschen, die sich auf hohem Ross einen Weg durch die Menge bahnten.
    Stirnrunzelnd beobachtete der Schongauer Henker diesen seltsamen Aufmarsch. Offenbar stand schon bald wieder einer dieser Reichstage an. Er reihte sich ein in die Schlange von Menschen, die vor dem Tor darauf warteten, eingelassen zu werden. Dem Schimpfen und Fluchen nach zu urteilen, schien es länger zu dauern als üblich.
    »He, Großer! Wie ist der Wind dort oben?«
    Jakob Kuisl beugte sich hinunter zu dem Bauern, der ihn offenbar angesprochen hatte. Als der kleine Mann das grimmige Gesicht des Henkers nun direkt vor sich erblickte, musste er kurz schlucken, bevor er weitersprach.
    »Kannst du sehen, was dort vorne los ist?«, fragte er mit einem schmalen Lächeln. »Zweimal die Woche bring ich meine Rüben auf den Markt, immer dienstags und samstags. Aber so ein Gedränge habe ich noch nicht erlebt.«
    Der Henker stellte sich auf die Zehen. Auf diese Weise überragte er alle Umstehenden um fast zwei Köpfe. Kuisl konnte erkennen, dass am Tor gleich ein halbes Dutzend Wachen stand. Mit ihren blechernen Torgeldbüchsen sammelten die bewaffneten Männer von jedem einzelnen Passanten den Wegzoll ein. Immer wieder stießen die Wachleute unter den wütenden Protesten der Bauern mit Schwertern in die Ladungen von Korn, Heu und Kohlköpfen, ganz so, als würden sie jemanden suchen.
    »Jeder einzelne Wagen wird kontrolliert«, murmelte derHenker und sah spöttisch auf den Bauern hinunter. »Habt’s den Kaiser in der Stadt oder macht’s ihr immer so einen Zinnober?«
    Der Mann seufzte. »Wahrscheinlich ist bloß wieder irgendein wichtiger Gesandter eingetroffen. Dabei ist der Reichstag doch erst nächstes Jahr!
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