Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers
Autoren: Karla Weigand
Vom Netzwerk:
wie altes Pergament.
    »Hör mir zu, liebes Kind«, fing Frau Bertrada nach einigen Minuten der Stille wieder an und schaute ihr dabei eindringlich in die blaugrünen Augen. »Ich möchte dir einige gute Ratschläge auf den Weg geben, ehe ich diese Welt verlasse. Sie könnten dir bei deiner Berufung als Heilerin sehr nützlich sein. Ich habe letzte Nacht gesehen, dass du in eine auserwählte Stellung gelangen wirst. Es bedeutet allerdings auch, dass du dein Heimatdorf und deine Familie für immer verlassen wirst. Das musst du wissen.«
    Die Alte atmete schwer und schwieg wieder eine Weile. Griseldis war aufs Neue erstaunt, wie gut ihre Muhme es verstand, in die Zukunft zu blicken, und sie dachte kurz an das verlockende Angebot, das ihr der Herzog von Baiern vor einiger Zeit gemacht hatte.
    »Du wirst dein Leben bald nur noch bei hochgestellten Personen verbringen«, fuhr die Todgeweihte leise fort. »Daher lege ich dir nahe, Seldi, vergiss niemals deine Wurzeln. Du brauchst dich deiner Sippe wahrlich nicht zu schämen. Dein Großvater Wulfhart hat an der Seite Kaiser Ottos I. den sie den Großen nennen, tapfer gekämpft und einer deiner frühen Vorfahren soll sogar einmal dem großen Kaiser Karl das Leben gerettet haben. Zum Dank hatte Karl ihn in den Stand der Adligen erhoben, aber sein erstgeborener Sohn war leider ein Schurke und wurde aus dem Kreis der Edlen wieder ausgestoßen.« Die Alte holte rasselnd Luft.
    »Auch dein Vater Frowein ist ein rechtschaffener Mann mit einem mildtätigen Herzen für jedermann; dein Bruder Dietwulf ist zwar schwach, aber nicht schlecht geraten und er wird eurer Sippe keine Schande machen. Nur seinen Sohn sollte er später einmal fest am Zügel halten. Dir aber sage ich«, und die Seherin bemühte sich sichtlich, ihrer schwachen Stimme Nachdruck zu verleihen, »vergiss niemals die Armen und Elenden deines Volkes und versage keinem von ihnen jemals deinen Beistand, wenn er dich darum bittet. Mögen deine anderen Schutzbefohlenen von noch so überragender Stellung sein: Lass dem Hochmut keinen Raum. GOTT hat dir die Kraft deiner heilenden Hände nicht nur für die Hochgeborenen gegeben, sondern für alle Menschen, die deiner Hilfe bedürfen.« Die Greisin wirkte sichtlich mitgenommen und machte eine längere Pause.
    »Und noch etwas, meine Tochter im Geiste«, sagte sie schließlich mühsam, »maße dir niemals ein Urteil darüber an, wer von den Kranken deiner Fürsorge würdig ist. Verweigere selbst einem Mörder nicht deine Hilfe. Er mag zwar vor GOTT und den Menschen gesündigt haben, aber er ist dein Bruder in CHRISTO und du hast die heilige Pflicht, auch an ihm dein Werk der Nächstenliebe zu vollbringen. GOTT schütze dich, mein geliebtes Kind.«
    Die letzten Worte hatten die weise Frau sehr angestrengt und sie verstummte erschöpft. Bleich und kraftlos lag sie in den Kissen; das aufgelöste, weiße Haar umgab ihr Haupt wie ein Strahlenkranz und die immer noch durchdringend blickenden Augen waren auf das junge Mädchen gerichtet.
    Ein leichtes Zucken ihres Körpers wurde sichtbar, ein letztes Seufzen entrang sich ihren Lippen: Muhme Bertrada war in die Ewigkeit eingegangen. Griseldis beugte sich über sie, küsste die Tote auf die Stirn und schloss ihr die Augen.
     
    Eines Tages, an einem hellen Vormittag im Monat März des Jahres 1001 wurde Griseldis wiederum nach Regensburg zu Herrn Moritz gebeten. Der Kaufherr war kürzlich von einer weiten Reise aus dem Orient zurückgekehrt und hatte sich anscheinend den Magen gründlich verdorben.
    Ein junger Mann, seinem Aussehen und seiner Kleidung nach ein unfreier Knecht mit geschorenem Haupthaar, ein sogenannter Gescherter also, war auf Froweins Hof vom Pferd gesprungen und hatte dringlich nach »Griseldis, der Heilerin« verlangt. Er müsse sie gleich nach Regensburg zu Herrn Moritz bringen, sagte er.
    Dietlinde hatte die kleine Gertrud der älteren Tochter hinterhergeschickt, die in Begleitung eines Knechts ins Nachbardorf geritten war, um einem alten Mann einen Krankenbesuch abzustatten.
    »Die Seldi kann noch nicht weit gekommen sein. Sie ist gewiss noch auf unserem Grund und Boden«, hatte die Mutter gemeint. »Sag ihr, sie soll sofort umkehren. Ein junger Bursche ist gekommen, um sie zu einem dringlichen Fall nach Regensburg zu holen.«
    Gertrud sauste los, denn solche Aufträge erfüllte sie stets gerne. Alles war besser, als daheim Rüben für das Mittagessen zu putzen oder den Hühnerstall auszumisten. Außerdem verehrte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher