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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers
Autoren: Karla Weigand
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lieblicher, zierlicher Wesen, die miteinander scherzten, reihum tanzten und mit hellen Kinderstimmen sprachen; es klang beinahe wie feines Grillengezirpe. Aber es waren natürlich die Elfen, die, wie jedermann im Ort wusste, im Wurzelgeflecht des ehrwürdigen Baumes ihre Behausung hatten.
    Manchen Menschen verliehen die Elfen die Gabe, in die Zukunft sehen zu können oder Worte zu hören, die nicht von menschlichen Stimmen herrührten. Und mitunter übergaben sie den auserwählten auch die Fähigkeit, Schmerzen einzig durch Blicke oder das Auflegen ihrer Hände zu lindern.
    Muhme Bertrada selbst war die Prophetie zu eigen. Zu ihr kamen die Dorfschönen, um sie zu fragen, ob ihre Liebsten ihnen treu seien, und junge Mütter, die wissen wollten, ob ihr nächstes Kind ein Sohn oder eine Tochter sein werde. Und immer war eingetroffen, was die Muhme geweissagt hatte.
    Aber eines Tages hatte Herr Wulfram, der alte Priester der Josephskirche, anlässlich einer Predigt zum heiligen Pfingstfest vor dem Wahrsagen gewarnt: Es sei eine Sünde wider den Heiligen Geist, hatte er gemeint.
    Seither hatte Frau Bertrada, eine fromme und gottesfürchtige Witwe, nicht mehr gewagt, einen Blick in die Zukunft zu tun. Und auch ihre junge Verwandte Griseldis hatte sie nie mehr zu den Elfen auf der Waldlichtung geführt. Frowein hatte es ihr streng untersagt, er befürchtete das Gerede unter den Leuten. Aber den Ring der Muhme durfte das kleine Mädchen behalten.
    Nach einiger Zeit bemerkte das Kind eine Gabe an sich, die es ihm gestattete, Schmerzen bei seinen Mitmenschen zu lindern, indem es ihnen nur die Hand auf die wehe Stelle auflegte.
    »Du hast so sanfte, wohltuende Finger, Seldi«, sagte ihre oft vom Kopfschmerz geplagte Mutter Dietlinde.
    Etliche Male hatte Griseldis auch schlimme Dinge vorausgesehen, die dann auch tatsächlich eingetroffen waren. So wusste sie ein halbes Jahr vorher von einer schrecklichen Dürre, die den Kohl auf den Beeten und die Getreideernte bis auf den letzten Halm vertrocknen ließ; dazu starb das Vieh auf den ausgedörrten Weiden.
    Im Jahr darauf quälte sie die furchtbare Ahnung, dass die Frau ihres Lieblingsoheims im Kindbett sterben würde. Aber aus einer natürlichen Scheu heraus, geliebte Menschen zu beunruhigen, sprach Griseldis niemals über ihre Traumgesichte.
    Seither waren beinahe dreizehn Jahre vergangen.
     
     

KAPITEL 2
     
    E HE G RISELDIS DIE kleine Dachkammer verließ, warf sie noch einen letzten Blick zurück auf das Bett, das sie mit der kleinen Gertrud teilte. Die Zwölfjährige hatte trotz des ungeheuren Lärms selig weitergeschlafen und weder vom Auftritt des Bruders noch von Griseldis’ Aufbruch das Mindeste mitbekommen. Selbst das aufgeregte Gebimmel der Sturmglocke auf dem Kirchendach hatte nicht vermocht, das Kind aufzuwecken.
    Mochte es ruhig weiterschlummern, dachte Griseldis und lächelte kurz vor sich hin. Dann schloss sie leise die Tür hinter sich, kletterte die Stiege, schmal wie eine Hühnerleiter, ins Erdgeschoss hinunter und betrat die düstere, nur durch einen einzigen Kienspan und ein schwaches Herdfeuer beleuchtete Küche, in der normalerweise die Eltern schliefen.
    Als die Kinder noch klein gewesen waren, hatten sie diesen Raum mit Vater und Mutter geteilt, weil die Küche der wärmste Ort des Hauses war.
    Mutter Dietlinde, eine nicht unhübsche, stämmige Bauersfrau mit strohblonden, zu einem dicken Zopf im Nacken geflochtenen Haaren, hatte die noch glimmende Glut im Herd wieder angefacht. So knisterte bereits ein Feuerchen, das den Topf mit Gerstenbrei, vom gestrigen Abendessen übrig geblieben, erwärmte.
    An den benutzten Holzschalen auf dem Tisch sah Griseldis, dass der Vater, Dietwulf und die Knechte bereits ein wenig Nahrung zu sich genommen hatten, ehe sie sich zu den Löscharbeiten im Dorf aufgemacht hatten. Ein aufwendiges Unterfangen, denn in den letzten Nächten herrschten eisige Temperaturen und der Teich in der Ortsmitte war zugefroren.
    »Sie bilden zusammen eine lange Eimerkette zum Fluss«, sagte Dietlinde, als hätte sie die Gedanken der Tochter erraten. »Der Weg zur Donau ist dreimal so weit wie der zum Löschteich, aber was hilft es? Das Aufhacken dauert viel zu lang. Willst du auch etwas von dem Brei?«
    »Nein danke, Mutter, ich muss sofort los. Es scheint, dass es Verletzte gibt.«
    Griseldis wandte sich um und ihr Blick fiel auf den Knecht eines Nachbarn, der im Türrahmen stand. »Simon«, rief das Mädchen erschrocken, »haben die Räuber
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