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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers
Autoren: Karla Weigand
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sie die große Schwester und wäre ihr am liebsten nie von der Seite gewichen.
    ›Wenn ich einmal groß bin, mache ich das Gleiche wie die Seldi‹, dachte das Kind, ohne groß darüber nachzudenken, ob es auch die nötige Begabung dazu hätte. Wunden zu säubern und zu verbinden, einen Abszess vorsichtig aufzustechen oder einen gebrochenen Knochen zu schienen, das sei reines Handwerk.
    Das behauptete jedenfalls die ältere Schwester. Und die Heilkräuterkunde könne man auch ohne Weiteres erlernen. Etwas anderes war das Erkennen von Krankheiten an Haut oder Augen und das Handauflegen. Erst neulich hatte Griseldis eine Bäuerin durch die bloße Kraft ihrer Hände von deren jahrelangen, sie beinahe an den Rand des Wahnsinns treibenden Kreuzschmerzen befreit.
    Und ihre Augen mussten auch etwas ganz Besonderes sein, sagte sich Gertrud. Gelang es ihr doch jedes Mal, einer Frau bereits kurz nach der Empfängnis deren Schwangerschaft auf den Kopf hin zuzusagen.
    Dem Geistlichen aus einem der Nachbardörfer hatte sie ein unheilbares Leberleiden prophezeit und ihm strengste Alkoholabstinenz anempfohlen – lange bevor der gute Mann gelb im Gesicht wurde und die Bauchwassersucht kriegte, die ihm das Atmen erschwerte und ihm schließlich das Herz abdrückte.
    Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, in diesem Fall hatte es sich nicht um Hellsichtigkeit gehandelt, sondern Griseldis war des Pfarrers ungebremste Vorliebe für Messwein bekannt gewesen…
    Doch Gertrud fragte sich, woher die Seldi das nur alles wisse, und überlegte, ob es wohl an dem Ring liegen konnte, den die verstorbene Muhme Bertrada der großen Schwester einst geschenkt hatte. Rasch lief sie weiter, um die Ältere einzuholen.
     
     

KAPITEL 7
     
    »D U KANNST W UNDER wirken, mein liebes Kind«, lobte Herr Moritz Griseldis. Der Kaufmann lag in seinem Himmelbett im Gemach seines prächtigen Hauses am Rande von Regensburg und sah die Heilerin aufmerksam an. Er glaubte, sich »beinahe wieder wie neu« zu fühlen, wie er sich scherzhaft ausdrückte.
    »Und das ist wirklich ein Wunder mit meinen einundfünfzig Jahren«, sagte der behäbige Herr lächelnd und räkelte sich in seinen Seidenkissen. Als sie aufbrechen wollte, hatte Herr Moritz noch einen Rat für sie.
    »Ehe du dich diesmal auf den Heimweg begibst, Seldi, hör dir doch einmal eine Gerichtsverhandlung unseres Herzogs an. Es darf jeder daran teilnehmen, wenn Herr Heinrich Gerichtstag hält. Dieses Mal könnte es für dich besonders interessant werden, denn der Angeklagte ist kein anderer als der Freiherr Immo von Hohenstein.«
    »Oh«, rief Griseldis aus, »das ist doch der Grundherr von Tannhofen! Dieser schreckliche Baron, vor dem alle Weiber zwischen zwölf und siebzig Jahren flüchten, wenn er irgendwo in den Dörfern auftaucht und seine Hörigen und Eigenen heimsucht. Was ich von diesem Herrn gehört habe, ist wirklich schändlich.«
    »Ja, aber nun hat offenbar jemand den Mut gehabt und Anklage beim Herzog gegen den Freiherrn erhoben: Heute Vormittag muss er sich vor Gericht verantworten. Die Verhandlung verspricht, recht spannend zu werden. Ich fühle mich leider noch zu schwach, sonst würde ich selbst der Anhörung beiwohnen.«
     
    Nach ihrem Krankenbesuch eilte Griseldis gleich vielen anderen zur Tagungsstätte des Gerichts. Zu den herzoglichen Pflichten gehörte es, die Rechtsprechung auszuüben, wenn es sich bei einem der Angeschuldigten um einen Mann von Adel handelte.
    Meist waren es vertrackte Grenzstreitigkeiten oder leidige Erbschaftsauseinandersetzungen, die zur Verhandlung anstanden, oder es drehte sich um säumige Bußzahlungen wegen Körperverletzung oder Mord. Gelegentlich waren auch ausstehende Tributzahlungen an den Herzog als Lehnsherrn Gegenstand eines Verfahrens.
    Die heutige Rechtssache war Herzog Heinrich ein arger Dorn im Auge: Schändungen, überhaupt Übergriffe gegen Frauen und Mädchen gleich welchen Standes, standen nicht nur unter schwerer Strafe, sondern waren ihm auch persönlich ein Gräuel.
    Herr Heinrich verabscheute Männer, die glaubten, Frauen seien beliebig verfügbares Allgemeingut und hätten jedem nach seiner Lust und Laune zu dienen. Er gedachte, dieses Mal ein deutliches Zeichen zu setzen, indem er die Klage von Bauersleuten gegen einen Edelmann überhaupt zugelassen hatte.
    Griseldis hatte es gerade noch geschafft, in die brechend volle Empfangshalle des Herzogspalastes eingelassen zu werden. Unmengen von Zuschauern hatten sich eingefunden, denn das
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