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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers
Autoren: Karla Weigand
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Augen der Tochter waren die Würgemale an ihrem Hals keineswegs entgangen – trotz Dietlindes Versuch, sie mit einem Tuch zu verdecken.
    Obwohl Griseldis sofort einen bestimmten Verdacht gehegt hatte, der nach ihrem Traumgesicht zur Gewissheit geworden war, blieb die Mutter dabei, dass ihr nichts Schlimmeres zugestoßen wäre.
    Glücklicherweise zeigte sich in den nächsten Wochen, dass der zutiefst verletzten Frau eine Schwängerung erspart geblieben und ein Eingreifen der alten Wehmutter Helmtraut, oder gar von Griseldis, nicht nötig war. Mehrmals versuchte die junge Frau, mit Frowein darüber zu sprechen. Natürlich mit aller Behutsamkeit und nur in vorsichtigen Andeutungen.
    »Mutter ist seit dem Tag, als die Mönche ins Haus kamen, nicht mehr dieselbe, Vater. Irgendetwas hat sie verändert: Ihr Gemüt ist verdüstert. Und heute Morgen war mir so, als hätte Mutter ohne Grund geweint, obwohl sie es sofort barsch abgestritten hat, als ich sie daraufhin angesprochen habe«, sagte Griseldis.
    Sie war traurig, dass Dietlinde so wenig Vertrauen zu ihr zu haben schien. Auch mit Frowein, ihrem Vater, mit dem sie sonst alles besprechen konnte, war diesmal nicht zu reden und mit ihrem Bruder Dietwulf ebenso wenig. Die Männer stellten sich taub. Vielleicht verstanden sie wirklich nicht, was Griseldis sagen wollte.
    Aber die Heilerin hatte den starken Verdacht, dass die beiden es gar nicht so genau wissen wollten. Ihre Schwester Gertrud war hingegen zu jung, um zu begreifen, was wirklich geschehen war, und Muhme Bertrada, die im Sterben lag, wollte Griseldis nicht damit belasten.
     
    Gegen Ende des Jahres 999 war ein seltsamer Zug durchs Dorf gezogen. Schon von Weitem hatte man das Lärmen der mehr als hundertköpfigen Schar gehört: Männer und Weiber, junge und alte, nebst einigen Kindern und Jugendlichen.
    Merkwürdige Gesänge ließen sie erschallen, unterbrochen von monotonen Gebeten und endlosen Litaneien. Die Dorfbewohner standen gaffend am Wegesrand und beobachteten die verdächtige Gauklerschar scharf.
    Denn wie Gaukler sahen sie wahrlich aus, jene, welche mit Trommeln und Pfeifen durch Tannhofen marschierten und immer wieder versuchten, die Zuschauer zum Mitmachen zu animieren.
    »Verschenkt euer Hab und Gut!«, riefen sie mit eindringlichen Stimmen. »Lasst alles Eitle hinter euch und belastet euch nicht mehr mit Irdischem!«
    »Das Himmelreich ist nahe. Aber nur denen, die dem HERRN nachfolgen!«
    »Im Himmel bedeutet euer Geld nichts mehr!«
    »Bekehrt euch, zieht mit uns, denn nur wir führen euch zum ewigen Heil!«
    Auch Griseldis und ihr Bruder Dietwulf waren herangetreten und lauschten verwundert den seltsamen Botschaften.
    »Herrgott, wie viele sind denn das?«, fragte der junge Bauer verblüfft. »Die Menschenschlange nimmt ja gar kein Ende.«
    »Schau, Wulf, da hinten! Was sind denn das für merkwürdige Gestalten?«, rief das Mädchen erschrocken.
    »Jesses, da kann einem ja grausen«, raunte ein Tannhofener und bekreuzigte sich schnell. Am Ende der bunten Schar folgten nämlich die ganz Fanatischen nach, die sich quasi den Einzug ins Himmelreich erzwingen wollten durch eine ganz spezielle Art bizarrer Frömmigkeit. Es waren hauptsächlich Männer, aber auch ein paar Weiber beteiligten sich an dem blutigen Spektakel:
    Dumpfe Gebetsformeln murmelnd, taumelten sie – manche konnten sich kaum noch auf den Beinen halten – mit entblößtem Oberkörper dahin und peitschten sich im Rhythmus seltsamer Beschwörungen mit einer Geißel den Rücken und die Schultern.
    Das Blut lief ihnen dabei in Strömen über Brust und Rücken, denn die Widerhaken, mit denen die feinen Lederriemen oder Stricke besetzt waren, verhakten sich im Fleisch, rissen die Haut auf, um beim nächsten Hieb ein Stückchen Gewebe aus dem Geißler herauszureißen.
    Griseldis wich erschrocken zurück, um nicht von den herumspritzenden Blutstropfen getroffen zu werden; mittlerweile befand sich das Ende des Zuges auf ihrer Höhe.
    »Wie ekelhaft!«, rief sie unbedacht aus. Einer der ekstatisch dreinschauenden Büßer trat daraufhin mit erhobener Geißel auf das zu Tode erschrockene Mädchen zu und wenn Dietwulf ihm nicht ein Bein gestellt hätte, hätte er vermutlich auch tatsächlich zugeschlagen.
    Der Flagellant stürzte, wobei ihm sein Instrument der Läuterung aus der Hand fiel. Im Nu stellten sich ein paar andere Geißler Dietwulf entgegen, doch ehe sie handgreiflich werden konnten, hatte Griseldis’ Bruder seinen Dolch
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