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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung
Autoren: Bernd Flessner
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ernüchtert sinken. „Geben Sie her!“
    Greven reichte ihm aus dem Koffer die Karte, die von der Laue sofort entfaltete. Im selben Augenblick kehrte das Leuchten zurück in sein Gesicht. Begierig sogen seine Augen die kaum trockenen Linien und Schriftzeichen auf, die Gisbert Wilhelm bei Tolkien ausgeliehen hatte. Mitten ins Watt, irgendwo zwischen Borkum und Greetsiel, hatte er die Silhouette einer stilisierten Stadt gepflanzt und mit dem Namen Gordum versehen. Unterhalb der Seitenansicht Gordums waren Längen- und Breitengrade verzeichnet, die sich der alte Ysker hatte einfallen lassen. 53° 34´ Nord, 6° 34´ Ost.
    Von der Laue war auf Anhieb fasziniert. Er ließ sogar die Waffe sinken, aber Greven ging kein weiteres Risiko ein. Er war zu weit von ihm entfernt, und sein Knie war einem Sprung vom Kreier nicht gewachsen. Er konzentrierte sich lieber darauf, den entschlossenen Ausdruck in seinem Gesicht zu bewahren. Doch von der Laue hatte bereits jegliches Interesse an ihm verloren.
    „Verschwinden Sie! Hauen Sie ab! Lassen Sie mich endlich in Ruhe!“
    Er steckte die Pistole ein und gab die Positionsangaben in ein Notebook ein. Von der Laue kannte die drei Buchstaben GPS. Dann warf er einen Blick auf den Kompass und setzte seinen Kreier mit kräftigen Tritten in Bewegung. Ihm zu folgen war sinnlos, der Mann war in Form.
    Auch Greven machte sich auf den Rückweg, der ihn noch mehr Kraft kostete als die Hinfahrt. Immer mühsamer wurde es, sich gegen den Schlick zu stemmen. Die tiefen Wolken hatten dem Grau den vielfarbigen Schimmer genommen. Bei diesem fahlen Licht gab das Watt nicht vor, mehr zu sein, als es war. Zäher Matsch. Von der See hier abgeschüttelt, der er zur Last geworden war. Umgepflügt und verdaut von Millionen von Muscheln und Wattwürmern. Exkrement durch und durch.
    Bis zu seinem Knie hatte sich der Schlick vorgearbeitet und das Blau der Jeans unter sich begraben, als er endlich halbwegs festen Boden unter den Füßen spürte. Seinen rechten Schuh hatte das Watt einbehalten. Vielleicht als Opfer. Das Watt fordert Opfer, wenn man es betritt. Immer behielt es etwas zurück. Hatte man ihm jedenfalls als Kind erzählt, und der Schilfwald hatte dieses Gesetz oft genug bestätigt.
    Der alte Ysker war ihm entgegengekommen und half ihm, die Uferbefestigung zu überwinden. Die Mütze hatte er sich bereits vom Kopf gezogen und sein altes Luftgewehr abgelegt, auf dessen Lauf sie eilig mit Lassoband die große Stabtaschenlampe geklebt hatten, die Gerd im Dienstwagen gefunden hatte.
    „Im Kofferraum“, sagte ihm Greven und deutete, nach Luft schnappend, auf den Mercedes. Der alte Ysker erreichte den Wagen mit wenigen großen Schritten. „Abgeschlossen!“ Er nahm das Luftgewehr und schlug ein paarmal so kräftig mit dem Kolben auf das Schloss, dass es aufsprang. Auf einer Decke lag ein Menschenbündel, den Mund, aus dem Speichel tropfte, leicht geöffnet, die Knie angezogen. Kaum wahrnehmbar hob und senkte sich der Brustkorb. Die plötzliche Helligkeit ließ sie die Augen schließen.
    „Mona!“
    Vorsichtig hoben sie zu zweit die Gefesselte und Betäubte aus dem Kofferraum. Das Walkie-Talkie hatte von der Laue mit einem Stück Draht am Kofferraumdeckel befestigt. Der Fischer befreite Mona mit einem Taschenmesser von ihren Fesseln. Kraftlos sank sie Greven in die Arme, der sie nicht halten konnte und nach hinten kippte. Dann lagen sie auf dem Deich. Auch er war nun wie betäubt, fuhr ihr mit der Hand durchs Haar, küsste sie, sah in die unaufhörliche Arbeit der schweren Wolken.
    Nordwestlich von ihnen verschwand von der Laue im heraufziehenden Dunst, löste sich auf im trüben Grenzgebiet zwischen nassgrauem Himmel und nassgrauem Meeresboden. Zwischenreich. Grauzone. Ein verlässlicher Horizont war nicht mehr auszumachen. Der Sonne fehlte an diesem trüben Nachmittag die Kraft, die Elemente voneinander zu scheiden.
    „Was ist das eigentlich für eine Position, die du ihm da angegeben hast?“
    „Lütje Hörn“, grinste der alte Ysker.
    Greven schloss die Augen.

27. Kapitel
     
    Obwohl Greven sofort Häring angerufen und dieser alle verfügbaren Seenotrettungskreuzer und SAR-Hubschrauber informiert hatte, blieb von der Laue verschwunden. Nach drei Tagen wurde die Suche offiziell aufgegeben. Immerhin wurde fünf Tage nach seinem Aufbruch der vermisste Kreier im Watt vor Borkum gefunden. Ohne von der Laue. Ohne Taschen, Notebook und Spaten. Zweimal gab es falschen Alarm, doch wurden die auf Juist und
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