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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung
Autoren: Bernd Flessner
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Schiffsdiesel. Langsame Fahrt voraus. Mühsam senkte er seinen Kopf und sah, dass er vollständig bekleidet war. Nicht einmal die Schuhe hatte er ausgezogen, bevor er aufs Bett gefallen war.
    Wie immer, wenn er zu viel getrunken hatte, konnte Weert Janssen nicht schlafen. Spätestens nach ein, zwei Stunden wurde er wieder wach und wanderte dann durch Greetsiel. Den Weg, den er bei diesen morgendlichen Wanderungen einschlug, überließ er seinen Füßen, während sein Kopf versuchte, zu dem vorzudringen, was ihm als nüchterne Wirklichkeit vertraut war. An diesem Sonntagmorgen waren seine Versuche vergeblich. Der vergangene Abend wollte einfach nicht zu Bildern und Gesprächen gerinnen. Weder wusste er, wo er zu seinem Rausch gekommen war, noch, wie er nach Hause und ins Bett gefunden hatte.
    Mit dem unvermindert hämmernden Schiffsdiesel in den Schläfen wankte der Hafenmeister auf die Häuser mit den barocken Giebeln zu, die frisch gestrichen und ansichtskartengerecht die Sielstraße säumten. Er tastete sich an klinkerroten Fassaden mit weißen Friesenfenstern vorbei, hinter denen Kandis, Tee und Messingstövchen um die Gunst der Touristen buhlten.
    Seine Füße hatten sich für den Kutterhafen entschieden, also ein vertrautes Terrain. Nur wenige Kutter lagen vertäut in dem vor einigen Jahren von Ebbe und Flut befreiten Hafenbecken. Eine große Seeschleuse triumphierte über die Kraft des Mondes und gewährte den Kapitänen jederzeit freien Zugang zur Nordsee und den Touristen jederzeit die Möglichkeit, ein- und auslaufende Kutter zu fotografieren. Vor allem im Sommer quoll Greetsiel über vor Urlaubern, die in dem kleinen Fischerdorf an der Leybucht friesische Exotik und das Flair des längst Vergangenen suchten. Damit sie beides auch fanden, war das Dorf, eigentlich längst ein kleines Städtchen, in den letzten Jahren fast bis zur Unkenntlichkeit restauriert, umgestaltet und mehr oder minder perfide verschönert worden.
    Nachdem die Füße des Hafenmeisters die wenigen Kutter abgeschritten hatten, revidierten sie ihre Entscheidung zu Gunsten des Yachthafens, der im Süden des Hafenbeckens hinter dem Schöpfwerk angelegt worden war. Keuchend und unter Zuhilfenahme seiner Hände erklomm Weert Janssen den Deich und schlingerte auf der Deichkrone den Yachten und Plattbodenschiffen der Freizeitkapitäne und Reichen entgegen, die er zutiefst verachtete, weil sie nicht zur See fuhren, um Geld zu verdienen, sondern weil sie Geld hatten. Und Zeit. Die sie verschwendeten, um den Hafenbetrieb zu stören, die Schleuse zu blockieren und Bordpartys zu feiern. Es gab sogar Boote, die niemals den Hafen verließen, weil sie ausschließlich als schwimmende Partykeller dienten.
    Seine Füße legten gleich vor der ersten Yacht eine kleine Pause ein, die seine Hände nutzten, um den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. Trotz des Schiffsdiesels, der seine Peilung nachhaltig behinderte, traf sein gelber Strahl das Heck der Yacht. Dampfender Urin rann über den Namen. Yvonne . Niemals würde ein Fischer so seinen Kutter nennen. Die hießen Sechs Gebrüder oder Eltje Looden .
    Ohne den Hahn ordnungsgemäß verstaut zu haben, wankte der Hafenmeister zur nächsten Yacht. Denn seine Blase hatte nicht alles freigegeben. Jacqueline stand auf dem Spiegelheck. Weert Janssen erinnerte sich an den Besitzer, einen dickleibigen Binnenländer, der ihn erst vor wenigen Tagen wegen der vollen Mülltonnen zur Rede gestellt hatte. Ein raues Lächeln glitt über sein Gesicht. Er hob die Augenbrauen und nickte.
    Umständlich verstaute er nun seinen Hahn und marschierte weiter. Diese Art des Widerstands war jedenfalls erst einmal versiegt. Aber es gingen ihm noch andere durch den Kopf. Vor ihm tauchte die Voodoo Chile auf.

2. Kapitel
     
    Die Leiche lag auf dem Bauch. Am Hinterkopf klaffte eine etwa fünf Zentimeter lange Wunde, aus der kaum Blut gesickert war. Die Arme waren sonderbar verdreht, die Beine leicht gespreizt. Die Lederweste war dem Toten ausgezogen worden, sie lag links neben ihm auf dem Bootsdeck. Seine Hosentaschen schienen ebenfalls durchsucht worden zu sein. Eine weiße Tafel mit der Ziffer 9 markierte ein Portemonnaie aus abgewetztem, schwarzem Leder, das etwa zwei Meter von der Weste entfernt wie ein kleines Zelt auf den Decksplanken stand. Männer in weißen Overalls stellten weitere Tafeln auf und machten Fotos.
    Der Tote war ungefähr einen Meter achtzig groß, sehr schlank, fast mager, und hatte schulterlanges, leicht
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