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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung
Autoren: Bernd Flessner
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siebziger Jahre, als immer noch die große Aufbruchstimmung herrschte, als der Geist und die Rockmusik noch links waren, der Feind leicht auszumachen war und kurze Haare trug, als anders sein und anders leben noch einen leichten Vorsprung vor dem Zugriff der Kulturindustrie besaßen.
    Nach dem Abitur löste das Leben die Clique auf, deren Mitglieder Zivildienst zu leisten hatten, von Zweifeln geplagt doch zur Bundeswehr gingen oder gleich studieren konnten. Manche entgingen in West-Berlin dem Zugriff der Feldjäger, Dietsche fuhr Krankenwagen, Ralf war untauglich und studierte in Heidelberg Germanistik. Gerd Greven hatte andere Ziele. Er wählte den langen Marsch durch die Institutionen und wechselte irgendwann die Seiten, jedenfalls für viele aus der Clique. In seinen Augen hatte er nur den Weg gewechselt, denn er spürte der Ars corrumpendi nach, fischte im Brackwasser aus Wirtschaft, Politik und organisierter Kriminalität, trieb Waffenschieber, Bauspekulanten und Parteifunktionäre aus ihren Verstecken.
    Lose hielten sie Kontakt, verfolgten ihre Karrieren, bewunderten sich, misstrauten sich, entfremdeten sich, fanden wieder zueinander, telefonierten sporadisch, versuchten, den jeweils anderen zu verstehen, trafen sich, wenn auch immer seltener. Irgendwann lösten sich die meisten Kontakte auf, versandeten an den Ufern der Zeit, weil ihre Lebenswege zu stark mäanderten.
    Harm blieb, wo er war und wer er war, wenn man davon absah, dass er von der Möbel- auf die Schiffsrestauration umstieg. Aus alten, abgetakelten Fischkuttern und Plattbodenschiffen machte er alternative Yachten für Aussteiger, die sich kein richtiges Schiff leisten konnten oder wollten. Reich wurde er dabei nicht, denn er ließ sich viel Zeit für die Umbauten, verlängerte Termin um Termin. In manchen Jahren blieben ihm nur die Buddelschiffe, und dennoch besaß er irgendwann einen eigenen Kutter, in den er zog, bevor das Bauernhaus gänzlich über ihm zusammensackte.
    Zwei- oder dreimal hatte Gerd ihn dort noch besucht, fünf oder sechs Jahre mochte die letzte Begegnung zurückliegen. Doch die Freunde von einst taten sich schwer, hatten damals schon, vor dem Abitur, noch keine zwanzig, verschiedene Fahrwasser gewählt und die rasenden Veränderungen der Wirklichkeit im Laufe der Jahre anders pariert. Zwanzig Jahre später lebten sie in verschiedenen Welten. Geblieben aber war die Sympathie füreinander.
    Greven nahm den Blick aus der leeren Espressotasse und winkte den Wirt an seinen Tisch. Nicht, um nach der Marke zu fragen, sondern um sich einen Grappa zu bestellen, den er dann, ohne sich Zeit zu lassen, ihn mit den Händen anzuwärmen und seine Nase ins Spiel zu bringen, wie einen Klaren kippte.
    Nun lag Harm tot auf den Planken. Ein alter Freund. Ein ewiger Freak. Jung geblieben und doch alt geworden, verfangen in den Maschen längst vergangener Zeiten und Träume. Ein Außenseiter, der keiner geregelten Arbeit nachging, jedenfalls nicht nach bürgerlichen Kriterien, sondern ab und zu einen ausgemusterten Kutter umbaute, einen Joint rauchte und Touristen auflauerte.
    Was auch immer sich in der Kassette befunden haben mochte, eine größere Geldsumme dürfte es wohl kaum gewesen sein. Ein Raubmord? Wer würde hier eine solche Tat riskieren und sich dafür ausgerechnet den Kutter von Harm Claasen aussuchen, während im Yachthafen viel lohnendere Objekte vertäut waren, die eine ganz andere Beute versprachen? Und warum hatte der Täter eine Uhrzeit für seinen Überfall gewählt, die denkbar ungünstig war? Zwischen 21 und 24 Uhr war es noch ziemlich hell, der Hafen voller Flaneure, die Yachten voller Partygäste. Allenfalls ein Dilettant, ein Anfänger oder ein Täter, den die Zufälle des Lebens in die Tat gezwungen hatten, hätte sich nicht gescheut, auf diesem Podium einen Mord zu begehen.
    Doch es war kein Amateur an Bord gewesen, auch niemand, der schnell ein paar Euro oder ein paar Wertsachen einstecken wollte. Kein Junkie und kein Serieneinbrecher. Schon oft hatte Greven durchsuchte Wohnungen gesehen, vor allem als Leiter der SK Bühler, aber auch in Hamburg und Frankfurt. Er wusste, wie professionelle Wohnungseinbrecher oder Drogensüchtige vorgingen, wie Familienmitglieder nach einem Testament suchten und nach dem Sparstrumpf der Oma. Jede durchsuchte Wohnung reflektierte das Ziel der Suche und gab somit Auskunft über denjenigen, der diese Suche durchgeführt hatte. Außerdem konnte man meistens auf einen Blick erkennen, ob eine
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