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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde
Autoren: Luanne Rice
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ihrem Hosenbund ragte.
    Kate streckte die Hand aus und sagte zu Beckwith: »Hallo. Ich bin Kate Harris.«
    »Ich kenne Ihre Schwester«, sagte Beckwith und richtete die Waffe auf ihre Brust.
    Kate duckte sich blitzschnell weg, als John ausholte. Die rostige, blutgetränkte Metallstrebe krachte auf das Handgelenk des Doktors nieder; John hörte den Knochen splittern und den Schuss losgehen – beides gleichzeitig. Die Kugel traf die Wand des Leuchtturms, prallte ab, bohrte sich in Johns Oberschenkel.
    Er schrie vor Schmerz auf, als die Kugel Fleisch und Knochen durchdrang. Beckwith versuchte abermals abzudrücken, doch John sprang ihm an die Gurgel. Kate hatte den Doktor von hinten gepackt, riss an seinen Haaren, versuchte, ihn in die Knie zu zwingen. John hatte nur noch eines im Sinn – hatte nur noch einen Wunsch auf dieser Welt, in dieser mondhellen Nacht –, nämlich dem Entführer von Kates Schwester den Garaus zu machen. Er schlug mit den Fäusten auf ihn ein, spürte, wie sein eigenes Blut in einem heißen Schwall an seinem Bein entlanglief.
    Die Männer kämpften verbissen miteinander, Kate wich zur Seite, und die Waffe fiel klirrend auf den mit Muschelschalen bedeckten Weg. John umklammerte den Doktor, er rollte mit ihm über das Gras auf der Klippe, spürte, wie der Ostwind den Steilhang hinaufwehte, salzig und nass von der Gischt.
    »John, der Abgrund!«, schrie Kate.
    Erschrocken versuchte John, mit dem unverletzten Bein Halt zu finden, und kam drei oder vier Meter, bevor die Klippe senkrecht zum Meer abfiel, zum Stillstand. Er hörte Kate schreien: »Er hat meine Schwester verletzt! Er hatte Willa die ganze Zeit in seiner Gewalt!«, und schlug wie von Sinnen auf Beckwiths Gesicht ein.
    »Haben Sie gehört?«, keuchte John; sein Bein brannte wie Feuer, der Schmerz war wie ein Messerstich. »Sie kann bezeugen, was Sie getan haben. Sie ist durch die Hölle gegangen.«
    »Bring ihn zum Reden! Er soll gestehen, was er ihr angetan hat!«, schrie Kate.
    »Ich bin Arzt«, keuchte Beckwith; sein Wangenknochen war gebrochen, eine offene, blutende Fraktur. »Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre sie tot! Caleb hat sie angeschleppt und hätte sie längst umgebracht. Junge Burschen können nicht warten. Haben keine Geduld.«
    »Geduld …!«, brüllte John und versetzte dem Doktor abermals einen Faustschlag ins Gesicht.
    »Was haben Sie ihr angetan?«, schrie Kate und lief zum Rand der Klippe hinüber, griff blindlings nach dem Gesicht und den Kleidern des Doktors. »Sie hätten meiner Schwester helfen, sie retten können. Aber stattdessen …«
    Der Doktor atmete schwer, wischte sich das Gesicht im Gras ab, den Blick gesenkt. Er schenkte weder Kate noch ihren Worten Beachtung, als wäre sie gar nicht vorhanden. Er sah Johns Bein an.
    »Die Schlagader ist verletzt«, sagte er ruhig.
    John antwortete nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen spürte er das Pulsieren des Blutes, das in einem Schwall aus seinem Oberschenkel drang, auf die Erde rann.
    »Sie werden verbluten, wenn Sie nicht sofort Hilfe erhalten, John«, sagte Beckwith.
    John sah Sterne und hörte, wie Kate der Atem stockte, als ihr klar wurde, was John bereits wusste – dass der Doktor Recht hatte.
    »Ich bin Arzt. Ich kann Ihnen helfen. Ich brauche eine Aderpresse. Geben Sie mir Ihr Hemd …«
    Hatte er mit Kate oder mit John geredet? John wusste plötzlich, dass er handeln musste, sonst würde er sterben und Kate mit dem Ungeheuer allein lassen. Vorsichtig, Beckwith nicht aus den Augen lassend, begann er, sein Hemd auszuziehen – er wollte in Gegenwart des Doktors um keinen Preis der Welt Schwäche zeigen und sich von Kate dabei helfen lassen –, und in dem Moment, als er es über den Kopf zog, spürte er, wie Beckwiths Faust vorschnellte und seine Kehle traf.
    Keuchend und in seinem Hemd verheddert, sich selbst für seine Dummheit verfluchend, weil er auf das Täuschungsmanöver hereingefallen war, wusste John, dass er lieber sterben und Beckwith mit sich in die Tiefe reißen würde, damit er zur Hölle fuhr, bevor er zulassen würde, dass er Hand an Kate legte. Mond und Sterne drehten sich in einem rasenden Wirbel über ihm, als er sich fieberhaft aus dem Stoff befreite.
    Aber er kam zu spät. Kate hatte in ihre Tasche gegriffen, zog ein rotes Messer heraus – das wie Maggies aussah –, und rammte es mit einem Wutschrei in Beckwiths Hals.
    Der Psychiater griff sich an die Kehle, schwankte; sein Blick begegnete Johns, eine gefährliche
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