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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde
Autoren: Luanne Rice
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Messer ausweichend. Sie blinzelte, wandte den Blick ab – als könnte sie die Tatsache verdrängen, dass sie zwei Männer getötet hatte. John, der auf dem Sofa der weitläufigen Wohnküche saß, das verletzte Bein ausgestreckt, beugte sich vor.
    »Kate?« Er streckte seine Hand aus. »Bitte setz dich zu mir.«
    Sie kam seiner Aufforderung nach. Als wenn sie von der Hüfte abwärts zusammengewachsen wären, wich Maggie nicht von ihrer Seite und nahm neben Kate Platz, als diese sich neben John setzte.
    »Wer möchte weißes Fleisch und wer dunkles?«, rief der Richter vom Tisch herüber.
    »Und wer will Bratensoße, Moosbeerenfüllung, Steckrüben?«, ließ sich Maeve vernehmen. »Und was sagt ihr zu den funkelnden Gläsern? Meine Schwester und ich haben sie eigenhändig abgewaschen, jedes einzelne.«
    »Ich weiß, Maeve, du bist ein Schatz.« Der Richter warf ihr eine Kusshand zu. »Ihr beide seid ein großartiges Gespann, Brigid und du.«
    »So ist es.« Maeve lächelte still, während sie Bratensoße auf den Teller schöpfte, den Teddy hergerichtet und ihr gereicht hatte.
    Die Aufgabenteilung lief wie am Schnürchen, und John saß da und sah zu, die Arme um Kate gelegt. Er spürte ihren Atem auf seiner Wange, ihren Herzschlag durch die Haut. Sie waren in seinem eigenen Haus – Maggie hatte gebettelt heimzufahren, wo Kate sich statt des Richters um die Familie kümmern würde – bis ihre Schwester so weit genesen war, dass sie nach Washington zurückkehren konnte.
    Als John nun durch die großen Fenster das von der Sonne beschienene, silbern glänzende Meer und den Leuchtturm betrachtete, der sich an der Spitze der Landzunge erhob, sah er nichts Unheimliches, Beängstigendes, nichts, was auf das tödliche Drama hinwies, das dort stattgefunden hatte. Er drückte Kate an sich, als könnte er sie vor den Erinnerungen an das Geschehen schützen.
    »Daddy?«, sagte Maggie.
    »Ja, Mags?«
    »Bist du jetzt Kates Anwalt?«
    »Nicht direkt.«
    »Du hast mich aber beraten«, sagte Kate und blickte ihm tief in die Augen.
    »Aber nur, weil ich nicht wusste, wie die Polizei reagieren würde. Als Billy angerast kam, mit einem Riesenaufgebot im Schlepptau …«
    »Teddy hat ihn angerufen«, warf der Richter ein. »Er hatte ein ungutes Gefühl, als du nicht sofort nach Hause kamst … und Kate bei dem Unwetter auf dem Weg zum Leuchtturm war.«
    »Ich dachte, ihr könntet beide Unterstützung brauchen«, sagte Teddy mit verlegenem Stolz.
    »Danke, Teddy.« Kate nahm Johns Hand. »Du hast deinem Vater das Leben gerettet. Ich hatte Angst …« Sie verstummte, wollte den Kindern keinen Schrecken einjagen, indem sie erwähnte, dass John um ein Haar verblutet wäre.
    »Vor den bösen Männern?«, fragte Maggie und betrachtete forschend ihr Gesicht.
    »Nein, Mags«, entgegnete Teddy, der die Teller mit dem Truthahn zum Sofa trug. »Um das Problem hatte sie sich schon gekümmert. Du bist sehr mutig, Kate.«
    »Ich habe nur versucht, Menschen zu beschützen, die ich liebe.«
    »Du liebst deine Schwester«, erklärte Maggie mit glänzenden Augen. »Und wen noch?«
    »Mags«, sagte John mahnend. »Benimm dich …«
    »Ich möchte es aber wissen. Wen sonst noch?«
    John saß reglos auf dem Sofa in der sonnigen Wohnküche, das verletzte Bein, sauber und weiß bandagiert, vor dem Körper ausgestreckt. Seine Tochter strahlte über das ganze Gesicht, und er fürchtete sich davor, Kate anzuschauen. Was war, wenn ihr die Frage peinlich war oder wenn sie versuchte, darüber hinwegzugehen – eine ausweichende, wohlerzogene Antwort gab, mit der Maggie leben konnte –, das Thanksgiving-Mahl über sich ergehen ließ und dann schleunigst ins Krankenhaus fuhr, um bei Willa zu sein?
    Kate lächelte. Genau das war es: John liebte ihr Lächeln. Sie lächelte, obwohl ihr eine weitere Befragung durch Billy Manning bevorstand und Willa im Krankenhaus lag, mit so schweren Verletzungen, wie sie sich kaum vorstellen konnten … sie lächelte, trotz alledem und den zwei Kindern, die sie mit großen Augen und offenkundiger Sehnsucht anblickten, wie zwei verwaiste Katzenjunge, die eine Mutter suchten.
    »Bin ich ungezogen?«, fragte Maggie, und Kates Lächeln wurde noch breiter. »Weil ich wissen möchte, wen sonst noch?«
    »Wen sonst noch … was?«, fragte Kate und drückte Johns Hand. »Ich habe die Frage vergessen.«
    »Wen du sonst noch beschützen wolltest? Und lieb hast.«
    Als Maeve das Tischgebet sprach und Gott, ihrer Schwester und ihren
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