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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde
Autoren: Luanne Rice
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Sekunde lang, dann taumelte er rückwärts, über den Rand der Klippe. John streckte die Hand nach Kate aus, robbte zum Abgrund. Sie lagen beieinander, eng umschlungen, starrten auf Beckwiths leblosen Körper herab, der auf dem Wellenbrecher unter ihnen lag. Der Strahl des Leuchtturms glitt über ihn hinweg, erhellte die sich hoch auftürmenden Wellen, der Gezeitenwechsel stand bevor: Die Flut setzte ein.
    »Kate«, flüsterte er.
    »John.« Schluchzend hielt sie ihn in den Armen, streichelte sein Gesicht. »Du darfst nicht sterben, lass mich nicht allein. Bleib bei mir! Ich hole Hilfe. Du darfst jetzt nicht sterben.«
    John blickte in ihre Augen. Sie waren schön, ihre einzigartige Farbe hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung an Flusssteine erinnert. An glatte, runde Steine, die Kanten abgeschliffen vom Wasser, Steine so alt wie die Menschheit, blank poliert von der endlosen Strömung. Von dem malerischen, westwärts fließenden Bach gleich hinter der Apfelplantage, wo er alle Zeit der Welt mit ihr verbringen wollte. Augen, für die Ewigkeit gemacht …
    »Ich liebe dich, Kate«, flüsterte er. Er hörte das Meer in seinen Ohren rauschen, den salzigen Ozean, der näher rückte, um ihn zu holen. Im Hintergrund eine Stimme, die gellend schrie, ein Hilferuf, eine Sirene …
    »Und ich liebe dich«, sagte Kate Harris schluchzend und wiegte ihn in den Armen, hielt ihn umschlungen, wollte nicht verlieren, was sie gerade erst gefunden hatte. Und da er genauso empfand, spürte er, wie Tränen in seiner Kehle aufstiegen und zu Boden fielen, mit jedem Tropfen Blut, das aus seinem Körper rann, bevor die dunkle Welle aufstieg, um ihn mitzunehmen.

[home]
    EPILOG
    A m Morgen nach Thanksgiving fand das erste Begräbnis statt.
    Die Familie Jenkins hatte sich vollständig in der Silver Bay Chapel eingefunden, in Trauerkleidung, die Köpfe tief gebeugt, um den Fernsehkameras und Zeitungsfotografen auszuweichen. Freunde bildeten eine schützende Mauer um sie, begleiteten sie anschließend zum Auto, um sie vor neugierigen Blicken abzuschirmen.
    Hunt Jenkins war der Einzige, der mit den Zeitungsreportern sprach und aufgebracht erklärte: »Mein Neffe hat Amanda Martin nicht umgebracht, hatte mit Willa Harris’ Gefangenschaft nicht das Geringste zu tun … Er ist ein Opfer von Dr. Philip Beckwith, genau wie die beiden Frauen … Schlimmstenfalls könnte man ihm den Bau der Unterkunft im Leuchtturm vorwerfen, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wozu sie diente …«
    Die zweite Beisetzung, Dr. Philip Beckwiths, sollte im engsten Familienkreis stattfinden, zu einem Zeitpunkt, den seine Mutter bestimmen würde, seine einzige lebende Anverwandte, die in Boston, Massachusetts, wohnte.
    »Welche Erklärung mag es dafür geben, dass ausgerechnet ein Arzt so viel Leid und Zerstörung anrichtet?«, fragte der Richter, der gerade den Truthahn tranchierte.
    »Ich weiß nicht, ob sich überhaupt irgendetwas erklären lässt«, sagte John und sah Kate an, die auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß. Sie hatte den Arm um Maggie gelegt und erwiderte seinen Blick, als wollte sie ihn nie mehr aus den Augen lassen.
    »Wie kommt es, dass wir an Thanksgiving bei laufendem Fernseher essen?«, fragte Maggie. »Das hatten wir doch noch nie.«
    »Am Freitag gab es das früher auch nicht«, sagte Maeve und trug die Bratensoße vom Herd herüber. »Ganz zu schweigen davon, eine so festliche Mahlzeit in der Küche einzunehmen.«
    »Wunder brauchen bisweilen Zeit«, verkündete der Richter feierlich. »Wir können sie nicht beschleunigen. Und Freitag war der erste Tag, der sich anbot, um das Versäumte nachzuholen.«
    »Nachdem Dad um ein Haar gestorben wäre«, sagte Teddy.
    »Und Kates Schwester auch.« Maggie schmiegte sich an Kate und schloss die Augen, als könnte sie nicht fassen, dass sie eine so wundervolle Tischnachbarin zum Anlehnen hatte. »Wir hätten nicht richtig Thanksgiving feiern können, ohne zu wissen, dass sie wieder gesund werden.«
    »Wird deine Schwester auch wieder gesund?«, fragte Teddy.
    »Ja.« Kate sah John mit unendlicher Wärme und Liebe in ihren kühlen Flussaugen an. »Ja, das wird sie. Sie muss allerdings noch eine Zeit lang im Krankenhaus bleiben …«
    »Es war eine Hilfe, oder?«, fragte Maggie. »Dass ich dir erzählt habe, wo ich den Flugzeug-Anhänger gefunden habe und dir mein Messer geliehen habe.«
    »Ich wüsste nicht, wo meine Schwester ohne dich wäre, Maggie«, erwiderte Kate, dem Thema
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