Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
Calebs Lieferwagen. In einem Winkel an der Seite geparkt, stand er ganz alleine da – keine Spur von Kate oder einem anderen Auto. John atmete auf; vermutlich war sie nicht da.
    John dachte daran, wie oft er hier vorbeigekommen war – bei Wanderungen mit Maggie und Teddy, oder bei Spaziergängen mit Brainer. War es möglich, dass Willa ein halbes Jahr lang im Turm versteckt worden war, direkt vor seiner Nase? Kate hatte Recht gehabt. Ihre Schwester war ganz in der Nähe gewesen.
    Die Automatik bohrte sich in seine Seite, und John wusste, dass der Doktor ihn umbringen würde. Beckwith spähte zuerst zum Leuchtturm und dann zum East Wind hinüber – vermutlich versuchte er einzuschätzen, ob jemand den Schuss hören würde. John macht sich nichts vor, sobald er auch nur einen Fuß in den Leuchtturm setzte, war er ein toter Mann. Zwei gegen einen: Caleb und der Doktor. Das Leuchtfeuer schien ihn zu verspotten, flammte über ihm auf, warnte Seefahrer vor dem felsigen Kap. Das Versteck lag am offensichtlichsten Platz an der Küste, und John und die Polizei hatten es die ganze Zeit übersehen.
    Kate …
    Er betete, dass sie gekommen und unbehelligt gegangen war. Sie erfüllte ihn mit Hoffnung und Zärtlichkeit – weil sie nie aufgegeben, weil sie nie aufgehört hatte, an ihre Schwester zu glauben –, und dieses Gefühl bewirkte, dass er Beckwith hoch aufgerichtet und ohne mit der Wimper zu zucken gegenüberstand.
    »So, und jetzt rüber zur Klippe«, befahl der Psychiater und sah John in die Augen, auf den Steilhang unmittelbar hinter dem Leuchtturm deutend.
    John wollte Beckwith die Arbeit nicht erleichtern, wenn er ihn erschießen wollte und dann die Leiche mit einem einzigen Stoß ins Meer beförderte, aber er musste Zeit gewinnen. Der Feldweg war holperig, mit getrockneten Grasbüscheln übersät. Beckwith hatte sich bei dem Aufprall des Wagens offenbar das Bein verletzt, weil er mit schmerzverzerrter Miene über das offene Feld humpelte.
    Während John langsam zur Klippe hinter dem Leuchtturm hinüberging, sträubten sich ihm mit einem Mal die Nackenhaare. Er schauderte.
    Er hatte wieder das gleiche unheimliche Gefühl wie in Fairhaven, als er seinen Wagen am Rande des menschenleeren Parkplatzes abgestellt und Kate Harris entdeckt hatte – an einem Ort, wo er sie nie vermutet hätte und die Chancen, sich zu begegnen, eins zu einer Million standen.
    Zwei abgelegene Orte, zwei Menschen, die auf unerklärliche, magische Weise miteinander verbunden waren? Auf der Ebene von Herz und Seele, nicht durch das gesprochene Wort. John hatte so etwas weder bei Theresa noch bei seinen Kindern erlebt. Aber diese telepathische Verbindung bestand zu Kate Harris, und er spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass sie in der Nähe war – jetzt.
    Wolken verdeckten den Mond; das Leuchtfeuer wanderte weiter. Dunkelheit, Licht, Dunkelheit, Licht … das Feld wurde vom Mond und dem Leuchtfeuer erhellt, dann kehrte die Finsternis zurück. Der Feldweg war menschenleer, dann tauchte ein Schatten auf. Näherte sich, Schritte knirschten auf den zerbrochenen Muschelschalen, der Schatten erhielt ein Gesicht.
    Und eine Stimme.
    »Hallo John«, begrüßte sie ihn so unbefangen, als hätte sie die Waffe nicht gesehen. Vielleicht war dem so …
    Beckwith ließ den Arm sinken, verbarg die Waffe rasch hinter seiner rechten Hüfte.
    »Kate.« John wollte sie warnen, schreien, dass sie weglaufen solle – aber wenn er es tat und sie Folge leistete, würde Beckwith sie erschießen.
    »Ein herrlicher Abend«, fuhr sie in dem weichen und melodischen Tonfall fort, der für Virginia typisch war. »Ich hatte Heimweh nach den Dünen und Wellen, und da dachte ich, ich mache einen Spaziergang zum Leuchtturm, in der Hoffnung, ein Wildpferd zu sehen. Was hat Sie und Ihren Freund an einem so stürmischen Abend wie heute veranlasst, hierher zu kommen?«
    »Der gleiche Grund«, erwiderte Dr. Beckwith galant. »Wir hofften, ein Füllen zu sehen … John, seien Sie nicht so ungehobelt. Stellen Sie mich bitte Ihrer Freundin vor. Vielleicht möchte sie uns in den Leuchtturm begleiten und …«
    »Verschwinde, Kate!«, rief John, ehe er es sich versah.
    Doch Kate schenkte seinen Worten keine Beachtung; sie trat zwischen ihn und den Doktor, lachte glockenhell, murmelte etwas von Yankees, die keine Manieren haben, und machte eine kleine Verbeugung, als wollte sie der Höflichkeit Genüge tun … in dem Moment sah John die Metallstrebe, die hinten aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher