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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten
Autoren: Hillary Jordan
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der Tür stand: WASSER NICHT AUFBEREITET. NICHT TRINKEN. Direkt daneben war ein Haken für ihr Hemd. Sie wollte es gerade ausziehen, als sie sich an die Zuschauer erinnerte und mit Hemd unter die Dusche stieg. Sie schloss die Tür, und das Wasser kam, zum Glück heiß. In der Dusche stand ein Seifenspender und sie nahm davon, schrubbte ihre Haut heftig mit den Händen ab. Sie wartete, bis die Wände der Dusche mit Wasserdampf beschlagen waren, dann zog sie ihr Hemd aus und seifte und duschte sich ab. Das Gefühl von Haaren unter den Armen überraschte sie erneut, obwohl sie sich mittlerweile daran hätte gewöhnt haben müssen. Seit ihrer Inhaftierung waren Rasierer nicht erlaubt. Als die Haare anfangs unter ihren Armen und auf ihren Beinen zu wachsen begannen, erst stoppelig, dann seidig, hatte sie das erschreckt. Der Gedanke an solche weibliche Eitelkeit ließ sie nun laut auflachen, ein hässlicher Klang, der sich in der geschlossenen Duschkabine grell anhörte. Sie war eine Rote. Ihre Weiblichkeit war völlig irrelevant.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie das erste Mal eine weibliche Verchromte gesehen hatte. Das war, als sie noch in den Kindergarten ging. Damals wie heute war ihre Zahl vergleichsweise gering, und die Gelben, die wegen ihrer Vergehen nur kurz bestraft wurden, bildeten die überwiegende Mehrheit. Die Frau, die Hannah gesehen hatte, war eine Blaue gewesen – ein noch sehr viel seltenerer Anblick, doch damals war sie zu jung, um das zu verstehen. Kinderschänder überlebten nach ihrer Freilassung nicht lange. Einige begingen Selbstmord, doch die meisten verschwanden einfach von der Bildfläche. Ihre Körper tauchten in Müllcontainern und Flüssen wieder auf, erstochen, erschossen oder erwürgt. An diesem Tag waren Hannah und ihr Vater über die Straße gegangen, und die Frau, die trotz der stickigen Herbstwärme in einem langen Kapuzenmantel steckte und Handschuhe trug, überquerte die Straße in entgegengesetzter Richtung. Als sie näher kam, zuckte Hannahs Vater zusammen, und diese plötzliche Bewegung veranlasste ihr Gegenüber, ihren gesenkten Kopf zu heben. Das Gesicht war von einem erschreckenden Kobaltblau. Doch es waren ihre Augen, die Hannah faszinierten. Sie waren wie Basaltscherben, zerklüftet vor Wut. Hannah wich vor ihr zurück, und die Frau lächelte und zeigte ihre weißen Zähne, die in grässlich violettem Zahnfleisch steckten.
    Hannah war noch nicht mit dem Waschen fertig, als das Wasser plötzlich versiegte. Jetzt sprangen die Düsen zum Trocknen an, und warme Luft rauschte über sie hinweg. Als auch damit Schluss war, stieg sie aus der Kabine. Sauber fühlte sie sich schon etwas wohler.
    Der Ton erklang dreimal, und es öffnete sich die Verkleidung mit dem Essen. Hannah ignorierte es. Doch es schien, als wäre ihr nicht erlaubt, eine weitere Mahlzeit auszulassen. Denn einen Augenblick später erklang ein ganz anderer Ton, ein nadelspitzer, unerträglicher Schrei. Sie ging schnell zu der Öffnung in der Wand und nahm das Tablett heraus. Der Ton ging aus.
    Auf dem Tablett befanden sich zwei Proteinriegel, der eine braun gesprenkelt, der andere leuchtend grün, ein Becher Wasser und eine große beigefarbene Pille. Sie sah wie eine Vitaminpille aus, aber Hannah konnte sich dessen nicht sicher sein. Sie aß die Riegel, die Pille ließ sie liegen, und stellte das Tablett wieder in die Öffnung. Doch als sie sich abwandte, erklang der schrille Ton erneut. Sie nahm die Pille in die Hand und schluckte sie hinunter. Der Ton verstummte, und die Verkleidung schloss sich.
    Was jetzt? Hannah dachte nach. Sie schaute sich verzweifelt in der unscheinbaren Zelle um und wünschte sich irgendetwas, das sie von ihrem eigenen Anblick ablenken könnte. In der Krankenstation hatte der Aufseher, kurz bevor sie die Spritze mit dem Virus bekam, ihr eine Bibel ausgehändigt, doch sein aufgeblasenes, selbstgerechtes Auftreten und sein verächtlicher Ton hatten sie daran gehindert, diese anzunehmen. Das und ihr eigener Stolz, der sie anspornte zu sagen: »Von Ihnen nehme ich gar nichts an.«
    Er grinste blöd. »Nach einer Woche ganz allein in Ihrer Zelle werden Sie nicht mehr so hochmütig und arrogant sein. Sie werden Ihre Meinung ändern, so wie alle es tun.«
    »Sie liegen falsch«, sagte sie und dachte: Ich bin nicht so wie die anderen .
    »Wenn Sie Ihre Meinung ändern«, fuhr der Aufseher fort, als hätte Hannah nichts gesagt, »fragen Sie einfach, ich werde dann dafür sorgen, dass Sie eine Bibel
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