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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten
Autoren: Hillary Jordan
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bekommen.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich werde nicht darum bitten.«
    Er beäugte sie abschätzend. »Ich gebe Ihnen sechs Tage. Sieben Tage. Vergessen Sie nicht das Wörtchen bitte.«
    Jetzt hätte sich Hannah in den Hintern treten können, weil sie die Bibel nicht angenommen hatte. Nicht weil sie auf ihren Seiten etwas Trost gefunden hätte – Gott hatte sie ganz offensichtlich verlassen, und sie konnte ihn nicht verantwortlich machen –, sondern weil sie damit etwas in den Händen gehabt hätte, worüber sie hätte nachdenken können, neben dem roten Unglück, das nun ihr Leben war. Sie lehnte sich an die Wand und rutschte abwärts, bis ihre Pobacken den Boden berührten. Sie zog die Knie zu sich heran und legte ihren Kopf darauf. Dann sah sie das erbärmliche kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern im Spiegel und nahm eine gerade Haltung an. Sie kreuzte die Beine und legte ihre Hände in den Schoß. Sie konnte nicht sagen, ob sie gerade auf Sendung war. Auch wenn die Bilder aus jeder Zelle kontinuierlich aufgezeichnet wurden und die Übertragungen live waren, zeigten sie nicht die ganze Zeit alle Insassen, sondern eher abwechselnd, je nach Gutdünken der Redakteure und Produzenten. Hannah wusste, dass sie nur eine von Tausend war, aus denen sie allein innerhalb der zentralen Zeitzone wählen konnten. Doch von den wenigen Malen, die sie selbst die Show gesehen hatte, wusste sie auch, dass Frauen, vor allem die attraktiven, mehr Sendezeit bekamen als Männer, und Rote und andere Verbrecher mehr als Gelbe. Und gehörte man zu den wirklich Unterhaltsamen – redete man unverständliches Zeug oder sprach mit imaginären Menschen, schrie man um Erbarmen oder kratzte sich die Haut auf, um die Farbe loszuwerden (das war nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, dann läutete der Bestrafungston) –, so konnte man ein Superstar werden. Hannah gelobte sich, ein so ruhiges und uninteressiertes Bild wie nur möglich abzugeben, und wenn auch nur ihrer Familie zuliebe. Schauten sie ihr in diesem Augenblick zu? Schaute er zu?
    Zur Verhandlung war er nicht gekommen, aber er war via Videolink bei ihrer Urteilsverkündung dabei gewesen. Ein Holo seines berühmten Gesichtes hatte vor ihr geschwebt, größer als lebensgroß, und sie gedrängt, mit den Anklägern zu kooperieren. »Hannah, als dein ehemaliger Pastor, ich flehe dich an, füge dich dem Gesetz und sage den Namen des Mannes, der die Abtreibung vorgenommen hat, und alle anderen Namen, die dabei eine Rolle gespielt haben.«
    Hannah hatte es nicht fertiggebracht, ihn anzusehen. Stattdessen hatte sie die Staatsanwälte und Gerichtsbeamten, die Zuschauer und Geschworenen angeblickt, die ihm zuhörten. Sie lehnten sich in ihren Stühlen nach vorn, um jedes Wort mitzubekommen. Sie bemerkte ihren Vater, der in seiner Sonntagskluft gebeugt dasaß und sie nicht mehr angesehen hatte, nachdem der Gerichtsdiener sie in den Gerichtssaal geführt hatte. Ihre Mutter und Schwester waren natürlich auch da.
    »Lass dich nicht von falsch verstandener Loyalität oder Mitleid für deine Komplizen beeinflussen«, fuhr der Geistliche fort. »Was kann dein Schweigen für sie tun? Es wird sie lediglich darin bestärken, weitere Verbrechen gegen das ungeborene Leben zu begehen.« Seine leise und volle und von Gefühl getragene Stimme wälzte sich durch den Raum und erforderte von allen Anwesenden absolute Konzentration. »Mit Gottes Gnade«, sagte er etwas lauter, »hast du eine öffentliche Schande eingestanden, und so mögest du eines Tages den öffentlichen Triumph über die Sündhaftigkeit in dir erleben. Möchtest du deinen sündhaften Gefährten denselben bitteren, aber reinigenden Becher, den du nun trinken musst, verweigern? Möchtest du ihn dem Vater des Kindes verweigern, der nicht die Courage besitzt vorzutreten? Nein, Hannah, es ist besser, jetzt ihre Namen zu sagen und von ihnen die unerträgliche Bürde zu nehmen, für den Rest ihres Lebens ihre Schuld verstecken zu müssen!«
    Der Richter, die Geschworenen und die Zuschauer wandten sich erwartungsvoll Hannah zu. Es schien unmöglich, dass sie sich dem Sog dieses leidenschaftlichen Aufrufs entziehen konnte. Er kam schließlich von keinem Geringeren als dem Geistlichen Aidan Dale, dem ehemaligen Pastor der einundzwanzigtausend Mitglieder zählenden Kirche des Entzündeten Wortes in Plano und Gründer der Missionsgesellschaft für den Weg, die Wahrheit und Weltweites Leben. Und jetzt war er im jungen Alter von siebenunddreißig
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