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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen
Autoren: Titus Mueller
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    M ondlicht spiegelte sich in den Pfützen am überschwemmten Tunnel der Untergrundbahn. Es roch nach feuchtem Zement. Der Mann mit den schwarzen Handschuhen lud acht Patronen in das Magazin seiner Pistole und schob es mit einem Ruck zurück in den Griff der Waffe. Er steckte die P08 in das verborgene Halfter an seinem Rücken.
    Vor zwei Wochen war hier die Spree in den Tunnel eingebrochen, in dem Moment, als man Nord- und Südstrecke miteinander ver band, und hatte die U-Bahn bis zum Potsdamer Platz überschwemmt. Ein neuer Wall war errichtet worden, um das Wasser aufzuhalten.
    Der Mann stieg über Eisenbleche, Sandsäcke und Schaufeln. Er sah sich aufmerksam um, bevor er in den Schatten eines Bauwagens trat.
    Ein zweiter Mann tauchte auf, klein, schmächtig, mit Drahtbrille. Der Zylinder auf seinem Kopf schimmerte im Sternenlicht. Der Mann trug einen feinen Gehrock und fluchte bei jedem Schritt. Seine Schuhe sanken im Schlamm ein. Verzweifelt sah er sich um.
    »Guten Abend«, ertönte hinter ihm eine Stimme. Aus dem Schatten des Bauwagens löste sich eine Gestalt mit schwarzen Handschuhen.
    »Musste es sein, dass wir uns auf dieser morastigen Baustelle treffen?«
    »Durchaus.«
    »Wer sind Sie, und warum wollten Sie mir am Telephon nicht Ihre Identität enthüllen?«
    »Haben Sie den Artikel?«
    Der kleine Mann kniff unwillig die Augen zusammen. Schließlich nahm er seine Tasche vor die Brust und zog einen Papierbogen heraus.
    »In der Redaktion der Berliner Zeitung weiß man noch nichts von Ihren Recherchen?«, fragte der andere.
    »Bisher nicht.«
    »Geben Sie mir den Text.« Der Große streckte die Hand nach dem Papier aus.
    Der Mann mit dem Seidenzylinder schüttelte den Kopf. »Erst will ich ein paar Antworten. Wieso sind Sie bereit, dreißig Mark für einen einfachen Artikel zu bezahlen? Und was stellen Sie damit an? Von welcher Redaktion sind Sie geschickt?«
    »Das sage ich Ihnen, wenn ich den Artikel gesehen habe.«
    Widerwillig reichte ihm der Journalist das Papier, und der Große zog eine Taschenlampe hervor, ein Ding aus Blech, das er mit einem Drehschalter entzündete. Er richtete den Lichtkegel auf das Blatt. Im Widerschein, der vom Papier ins Gesicht des Mannes fiel, traten feine Gesichtszüge hervor, das Antlitz eines Dandys, nur die Lippen waren blass und streng.
    Deutsche Firmen statten größtes Dampfschiff der Welt aus
    Die Innenausstattung der Titanic ist nahezu abgeschlossen. Britische Nationalisten überschlagen sich vor Stolz, aber ein Reporter der Berliner Zeitung enthüllt: Bevor der weltgrößte Dampfer am Mittwoch nächster Woche zu seiner Jungfernfahrt aufbricht, liefern deutsche Firmen Teile der luxuriösen Ausstattung. So stammen die Sportgerä te für den Gymnastikraum von der Firma Rossel, Schwarz & Co. AG aus Wiesbaden. Steinway’s Pianofortefabrik in Hamburg liefert fünf Flügel, jeweils 2,11 Meter lang, und drei Konzertklaviere für die Speisesäle und das Treppenhaus der ersten Klasse. Selbst bei ihrem Prestigeobjekt kommen die Engländer nicht ohne deutsche Hilfe aus.
    Schon im Mai, gute vier Wochen nach der Titanic, läuft das deut sche Schiff Imperator vom Stapel. Spätestens in einem Jahr wird sein Innenausbau abgeschlossen sein. Dann löst es die Titanic als größten Dampfer der Welt ab. Der deutsche Flottenbau triumphiert.
    Der Mann hob die Taschenlampe und blendete sein Gegenüber. »Haben Sie eine Abschrift Ihres Entwurfes zu Hause?«
    Der Gefragte hielt sich den Unterarm vor die Augen. »Nehmen Sie die Lampe runter!«
    »Haben Sie oder haben Sie nicht?«
    »Nein.«
    Er schaltete die Taschenlampe aus. Ruhig zog er die Pistole aus dem Halfter. »Knien Sie sich hin«, befahl er. Er richtete die Pistolenmündung auf den Journalisten.
    »Sind Sie übergeschnappt?«
    »Ich sagte: Knien Sie sich hin.«
    Der Journalist ging in die Knie. Seine blassgestreifte Hose versank im Morast, an der Bügelfalte gluckerte schmutziges Wasser herauf. »Nehmen Sie den Artikel, nehmen Sie ihn einfach …«
    Der Mann mit den dunklen Handschuhen setzte ihm die Mündung an die Schläfe und drückte ab. Es krachte. Vom Schuss wurde der Körper des Journalisten hingeworfen, in den Schlamm gestreckt. Sein Mörder drückte ihm die P08 in die rechte Hand und bog die Finger des Toten um den Griff der Waffe.
    Er steckte sich den Artikel in die Jackentasche und ging.
    *
    Die Schiffswand riss. Wassermassen strömten hinein und spülten Matheus aus seinem Bett, das Meer packte ihn und zog ihn durch
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