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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen
Autoren: Titus Mueller
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Hände gewaschen?«, fragte er, als er sich an den Tisch setzte. Er wartete, bis beide bejaht hatten, und sah Samuel noch einmal streng an.
    Der Junge hob seine Hände in die Höhe. »Kannst nachgucken!«
    Matheus sprach das Gebet. Seine Hände brannten vom kräftigen Waschen. Er nahm Butter auf die Messerspitze und strich sie auf ein Brot. »Ist das nicht«, er zeigte mit dem Messer darauf, »dieser teure französische Käse?«
    »Genieße ihn, wenn wir ihn schon einmal haben.«
    »Du hast Geld von deinem Vater angenommen«, sagte er.
    »Nein, habe ich nicht.«
    Seit er sich damals in sie verliebt hatte, fürchtete er, ihren Ansprüchen nicht zu genügen. Wie könnte er auch! Cäcilie war die Tochter des kaiserlichen Schatullenverwalters Ludwig Del brück. Ihr Vater war Mitinhaber des Bankhauses Delbrück, Schickler & Co., er saß im Aktionärsausschuss der Bank des Berliner Kassenvereins und in zahlreichen Aufsichtsräten, unter anderem bei der Friedrich Krupp AG – als Einziger, der nicht der Familie Krupp angehörte. Niemals konnte er, Matheus Sing vogel, einfacher Baptistenpastor, dieser Frau ein Leben bieten, wie sie es von zu Hause kannte, mit Köchin, Dienstmädchen, Mercedes und Chauffeur, ganz abgesehen von Kleidern und gutem Essen.
    »Mach dir nicht so viele Gedanken, Matheus.« Cäcilie legte ihm die Hand auf den Arm.
    Samuel sagte kleinlaut: »Mir schmeckt der Käse nicht.«
    »Du weißt einfach nicht, was gut ist.« Cäcilie seufzte. »Gib mir dein Brot. Du kannst dir ein neues machen.«
    Matheus sah sich im Zimmer um und fragte sich zum hundertsten Mal, ob die Einrichtung nicht auf Cäcilie schäbig wirken musste: die quastenbesetzten Sessel, die Dattelpalme im großen Kübel, die gemusterte Tapete, die Kommode mit den drei Schubladen, Nussbaum furniert, wobei die mittlere Schublade bereits zerkratzt und angestoßen war. Sicher hatte Cäcilie sich ihr Leben anders vorgestellt.
    »Das Telegramm geht mir nicht aus dem Kopf«, sagte sie. »Wir könnten kostenlos nach Amerika reisen!«
    »Sie zahlen die Überfahrt«, sagte er. »Und dann? Wie kommen wir nach Chicago? Wo übernachten wir unterwegs? So eine Reise verschlingt Unsummen.«
    »Denk an Samuel. Du kannst mit deinem Sohn nicht bloß Aus flüge in die brandenburgischen Kiefernwälder machen. Er muss auch mal etwas erleben.«
    »Mir gefällt es hier gut«, beteuerte Samuel.
    Cäcilie streichelte seinen Arm. »Wir streiten nicht, Liebling, hab keine Angst.« Sie wandte sich wieder Matheus zu. »Den tristen Alltag haben wir immer, und jetzt, wo sich uns eine Gelegenheit für ein Abenteuer bietet, willst du kneifen.«
    »Ich kneife nicht. Ich habe eine Entscheidung getroffen, das ist alles.«
    »Willst du nicht auch mal allem hier die lange Nase zeigen? Die Frauen fangen den Frühjahrsputz an, sie klopfen um die Wette ihre Teppiche, und gucken, wessen Wäscheleinen am schwersten behangen sind. Nur wir reisen fort und machen da nicht mit. Das wäre es doch!« Ihre Augen leuchteten. »Matheus, es gibt da ein neues Schiff, die Titanic. Das größte bewegliche Ding, das die Menschheit je gebaut hat, ein Hotel, das über das Meer fährt. Eine Reise auf diesem Schiff, das wäre traumhaft.«
    Es klingelte an der Tür. Noch während er aufstand, verlangte Cäcilie von ihm, sich endlich einmal zu verweigern. »Für die anderen arbeitest du, ohne Geld zu verlangen«, sagte sie, »du verschenkst deine Arbeitskraft, und deine Familie? Sag Nein, egal, was sie von dir wollen!«
    Als er öffnete, stand die Nachbarin im Treppenflur, im Kittelkleid, und sah ihn mit flehentlichem Blick an: »Herr Singvogel, meine Mutter dreht durch.«
    »Ich bin gleich bei Ihnen.«
    Sie ergriff seine Hand. »Ich danke Ihnen.« Ihre Finger waren weich und geschwollen, sie hatte vermutlich Wäsche gewaschen.
    Kaum hatte er die Tür geschlossen, vernahm er auch schon Cäcilies vorwurfsvolle Stimme: »Habe ich gehört: Nein, ich habe keine Zeit?«
    »Ich würde mich gern ausruhen«, sagte er, »ich bin müde. Aber ich kann der Nachbarin doch nicht sagen, dass sie die Sache mit ihrer Mutter allein bewältigen soll.«
    »Du bist feige!« Cäcilie erschien in der Küchentür. Ihre Nasenflügel wölbten sich. »Du traust dich nicht, Nein zu sagen, weil du Angst hast, dass die Leute dich dann weniger lieben.«
    »Das stimmt nicht.«
    »O doch. Du hast Angst, dass sie nicht mehr das Idealbild ihres hoch geschätzten Pastors anbeten.«
    Er schlüpfte aus den Pantoffeln und zog sich Straßenschuhe
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