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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen
Autoren: Titus Mueller
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hielt anmutig inne … Sie fühlte die Musik und gab sie mit ihrem Körper wieder. Wie zu einem Luftkuss führte sie die Hand vom Kinn in Richtung des Publikums, neigte sich in einem Port de bras zur Seite und hob die Fußspitze bis in den Himmel. Bald hatte sie alles um sich herum vergessen, für sie gab es nur noch die Musik.
    Als der Bolero endete, war sie schweißgebadet, aber glücklich.
    Sie verbeugte sich. Ihr war kein Fehler unterlaufen! Am liebsten hätte sie gelacht vor Freude. Gleich ihr erster Auftritt als Tänzerin war ein großer Erfolg.
    Allerdings stimmte etwas mit dem Publikum nicht. Nele wartete vergebens auf den rauschenden Applaus. Schwächlich applaudierte ein Teil des Publikums, dann schickte der Bühnenmeister schon die Nächsten heraus, zwei Kunstradfahrer. Mit weichen Knien stieg Nele die Stufen hinunter. »Was ist los? Hab ich etwas falsch gemacht?«
    »Hast du nicht.« Der Bühnenmeister sah sie mitleidig an.
    »Aber warum klatschen sie nicht?«
    »Man steckt nicht drin.« Er zuckte die Achseln. »Nele, der Direktor war gerade hier, er will dich sprechen.«
    »Jetzt gleich?«
    Der Bühnenmeister nickte.
    Direktor Hundrich hat gesehen, dass es den Leuten nicht gefällt, dachte sie. Der Schweiß auf ihrer Haut wurde kalt, er ließ sie frösteln. Besser, ich gehe nicht sofort hin, sondern warte, bis er sich beruhigt hat.
    Im Umkleideraum entledigte sie sich des glitzernden Kleid chens. Nachdem sie Bluse, Rock und Schuhe angezogen hatte, fühlte sie sich sicherer. Sie zupfte den bestickten Kragen zurecht. Sie war eine gute Tänzerin, auch wenn der erste Auftritt aus irgendeinem Grund kaum Beifall ausgelöst hatte. Morgen konnte bereits alles anders sein, dann saßen andere Zuschauer im Publikum, womöglich hatte sie heute einfach Pech gehabt, und es waren vor allem Leute gewesen, die auf das Muskelspiel der Artisten gewartet hatten oder auf die Schleuderbrettnummern oder auf Otto Reutter, den Star. Womöglich mochten die heutigen Gäste Bauchredner oder Drahtseilakte lieber, und morgen kamen die Tanzliebhaber.
    Glaubst du das wirklich?, dachte sie. Mach dir nichts vor, Nele!
    DIREKTION stand an der Tür zu Hundrichs Büro. Sie durfte auf keinen Fall zaghaft klopfen, er sollte merken, dass sie ein würdiges Mitglied seiner Revue war. Aber gegen ihren Willen geriet ihr das Klopfen mädchenhaft und flüchtig.
    »Herein«, dröhnte von drinnen die Stimme des Direktors.
    Sie trat ein. Der Direktor saß am Besprechungstisch und rauchte eine Zigarre. Er hatte keine Papiere vor sich, offensichtlich hatte er auf Nele gewartet. Die wenigen Haare, die er noch hatte, lagen quer über der Glatze, mit Zuckerwasser geglättet. »Nele, Mädchen«, sagte er, »warum hörst du nicht auf mich?«
    »Wie meinen Sie das, Herr Direktor?«
    »Ich habe dir gesagt, dass dein Tanz zu kompliziert ist. Die Dramaturgie, das Kleid – da fehlen die Impulse, es fehlt die sinnliche Note.«
    Ihre Kehle schnürte sich zusammen. »Morgen wird es besser, ich versprech’s Ihnen.«
    »Nein, Kind. Wir setzen deine Nummer erst mal ab. Du bist ja völlig durchgefallen beim Publikum! Das können wir so nicht wiederholen.« Er paffte Rauch. »Wir müssen uns etwas Neues ausdenken. Lass dich mal sehen! Dreh dich mal!«
    Sie drehte sich. Er will mich feuern, dachte sie, er setzt meine Nummer ab. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus.
    »Bist ein hübsches Mädchen. Das müssen wir den Männern im Publikum zeigen. Nackte Haut kommt gut an. Meinst du nicht? Wir könnten einen Riesenerfolg haben.«
    »Wenn ich mich ausziehe, kommt die Sittenpolizei.«
    »Genau das wollen wir.« Hundrich klopfte Asche von der Zigarrenspitze. »Sie sollen deinen Auftritt verbieten! Die Zeitungen werden darüber schreiben, und das wird die Massen anziehen. Wir finden dann schon einen Schlupfwinkel im Gesetz, lass das mal meine Sorge sein. Natürlich darfst du dich nicht einfach nur ausziehen. Vielleicht spielst du ›Phryné erscheint nackt vor ihren Richtern‹, wie Olga Desmond. Ich mache dich groß, Kind!«
    Olga Desmond hatte vor drei Jahren durch ihre unbekleideten Auftritte im Berliner Wintergarten einen so großen Skandal ausgelöst, dass darüber sogar im Preußischen Landtag debattiert worden war. Aber Nele hatte sie gesehen, sie tanzte nicht gut. Leidenschaftliche Rhythmen der Musik unterstrich sie durch Aufreißen der Augen und Vorstoßen des Unterkiefers, außerdem warf sie auf unschöne Weise die Arme herum. Den Erfolg hatte sie nur
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