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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen
Autoren: Titus Mueller
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ihrer Nacktheit zu verdanken.
    »Oder du gehst nackt zu Bett«, sagte der Direktor, »du musst sündhafte Assoziationen wecken, am besten lassen wir Schlangen über deine Brust kriechen, die Schlange und Eva, das versteht jeder. Du kannst dich auf der Bühne biegen und winden, und wir geben dir durchsichtige Schleier, die werden deine erotische Ausstrahlung verstärken.«
    Ein bitterer Geschmack breitete sich in Neles Mund aus. »Ich will tanzen«, sagte sie.
    Er zog an seiner Zigarre, die Spitze glühte auf. »Dann muss ich dich feuern. Tut mir leid.« Er sah sie an und schwieg.
    Nele verspürte Atemnot. Das durfte nicht passieren. Er durfte sie nicht wegschicken. »Ich habe vier Jahre für Sie gearbeitet«, sagte sie. »Für einen Hungerlohn.«
    »Nanana, werd nicht undankbar.« Er legte die Zigarre weg. »Komm mal her.«
    Zögerlich trat sie näher an ihn heran.
    Schon bevor sie ihn erreichte, streckte er seine Pranke aus, umfasste ihren Hintern und zog sie zu sich. »Nele, du musst dich für nichts schämen. Für gar nichts.« Er zwang sie auf seinen Schoß. »Ich war in meiner Jugendzeit in Hamburg. Dort zeigt Carl Hagenbeck im Zoo primitive Menschen. Die sind nackt, und es stört sich niemand daran. Menschen aus Finnland, Ceylon, Ostafrika, jeder will wissen, wie die unter der Kleidung aussehen, und Hagenbeck präsentiert sie den Leuten. Sie machen das nicht nur in Hamburg, da gibt es Tourneen durch ganz Europa! Du zeigst den Menschen eben, wie ein preußisches Mädchen unten drunter aussieht. Das ist Bildung.«
    Nele stand auf. »Nehmen Sie Ihre Hände weg.« Sie verließ das Büro, lief den Flur entlang. Ich zerstöre meinen Lebenstraum, wenn ich jetzt gehe, dachte sie. Aber der Zorn gab ihr Kraft. Du widerlicher Raffzahn, ich hasse dich, ich hasse dich!
    »Überleg’s dir!«, rief er ihr hinterher. »Wenn du dich ausziehst, kriegst du die Bühne! Ohne Bühne kannst du nicht leben, Mädchen!«
    Die Allisons kamen ihr entgegen, im Bademantel. Ihre Körper dampften, und Schweiß zeichnete Bahnen in die weiße Schicht von Schminke und Puder. Senta steckte ihren Kopf aus der Tür der Garderobe. »Nele«, sagte sie, »nimm’s nicht so schwer. Du kannst doch Kellnerin werden.«
    Aus dem Saal hörte man Otto Reutter. Das Mikrofon knisterte zu seinen Worten, und schon nach wenigen Phrasen folgte schallendes Gelächter des Publikums. Nahezu jeder in Deutschland kannte ihn und seine Lieder von den Grammophon-Platten. Sicher war er zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere in der Gefahr gewesen, hinausgeworfen zu werden.
    Sie holte ihr Kleid und ihre Jacke, durchquerte das Foyer. Draußen auf der Friedrichstraße wehte ihr kühle Luft ins Gesicht. Es roch nach Regen, auch wenn die Straße trocken war. Über ihr strahlte in weißen Lichtbuchstaben der Schriftzug Wintergarten .
    Sie sah die Amüsiermeile mit neuen Augen, nicht mehr als jemand, der hierhergehörte, sondern als Ausgestoßene. Da war der Admiralspalast mit seinen Bädern, seiner Arena fürs Eisballett und dem Lichtspieltheater, da war die endlose Kette von Nachtlokalen, Tanzbars und Animierkneipen. Männer flanierten auf der Suche nach Gesellschaft durch die Nacht, und am Straßenrand boten sich ihnen Prostituierte an, Frauen mit Federboas, hochgeschnürtem Busen und glänzenden kleinen Taschen. Bin ich einfach zu prüde?, fragte Nele sich. Verbaue ich mir mit meinen Hemmungen den Weg als Künstlerin?
    Diese Mädchen gehörten Zuhältern und waren in die Halbwelt abgerutscht, zu den Kokainhändlern, Opiumsüchtigen, Auftragsmördern. Von ihr, Nele, verlangte man doch nur, dass sie sich auszog.
    Natürlich, sagte eine spöttische Stimme in ihr, du findest immer jemanden, dem es schlechter geht. Hundrich hat dich reingelegt! Er wollte von Anfang an, dass du nackt auf der Bühne tanzt, damit er Geld scheffeln kann. Die Zeitungen sollen über dich schreiben, auf der Straße sollen dir die Männer hinterherpfeifen, und die Mütter sollen die Straßenseite wechseln, wenn sie dir mit ihren Kindern begegnen.
    Aber so unwürdig wollte sie sich nicht verkaufen. Sie dachte an die Zinnsoldaten, die zu Hause warteten, und an den Gestank der Farbe. Ihrer Mutter hatte sie versprochen, dass es damit ein für alle Mal vorbei war, dass sie die stechenden Dämpfe nicht länger ertragen müsste.
    »Fräulein, die Nacht ist noch jung.« Ein Mann mit Zylinderhut trat ihr in den Weg. »Darf ich Sie auf eine Rote Ente einladen?«
    »Nein.«
    Er blinzelte verwirrt. »Pardon, Rote Ente,
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