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Freiheit für Cyador

Titel: Freiheit für Cyador
Autoren: L. E. Modesitt
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I
     
    B eim Quietschen der Räder schüttelt der rundgesichtige Magieradept der zweiten Stufe, der Lorn gegenübersitzt, heftig den Kopf. »Sie müssen besser gewartet werden.« Seine Augen blitzen gelegentlich golden auf, was ihm in einigen Jahren die sonnenäugige Erscheinung eines gereiften Magi’i verleihen wird. Obwohl der Adept bestimmt nur wenige Jahre älter ist als Lorn, bilden sich bereits kleine Fältchen um diese Augen.
    Lorn nickt dem Magier zu. Alle paar Meilen dröhnt ein lang gezogenes, ohrenbetäubendes Quietschen durch das Vorderabteil des Feuerwagens, der auf der Großen Oststraße gen Jakaafra unterwegs ist. Das Geräusch scheint von den Vorderrädern zu kommen und dauert jeweils einige Sekunden an, bevor es wieder verstummt.
    »Feuerwagen sollten leise fahren«, nörgelt der Magier weiter. »Denkt Ihr nicht auch so, Hauptmann?«
    »Sie sollten so gut wie möglich gewartet werden«, antwortet Lorn.
    Mit einem entschlossenen Nicken wendet sich der Magier dem Unteroffizier rechts neben Lorn zu. »Meint Ihr nicht auch, Unteroffizier?«
    »Ja, Ser«, erwidert der dunkelhaarige Unteroffizier, auf dessen Stirn einige Schweißperlen stehen, aber er macht keine Anstalten, sie wegzuwischen.
    Lorn sitzt auf der linken Seite des Abteils in Fahrtrichtung und beobachtet den Magier, aber der Mann im weißen Schimmertuch schließt bald die Augen. Nach einiger Zeit folgt auch der dunkelhaarige Unteroffizier seinem Beispiel.
    Der Einzige, der am Nachmittag zumindest noch halb wach zu sein scheint, ist Lorn. Er reibt sich das Kinn und fährt mit der Hand über die Bartstoppeln und den Schmutz, der sich während der langen Reise im Feuerwagen Schicht um Schicht auf seinem Gesicht abgelagert hat. Geliendra werden sie voraussichtlich nicht vor dem Spätnachmittag erreichen. Lorn rutscht auf dem zu dünn gepolsterten Sitz mit der gekrümmten Lehne hin und her und wirft einen Blick aus dem Fenster. Das alte Glas der Scheibe lässt die Landschaft, Felder und Häuser, an denen sie vorbeirauschen, leicht verzerrt erscheinen, unwirklich, als sähen sie nicht so aus wie sie eigentlich sollten.
    Nachdem’ der Feuerwagen die wenigen Meilen der Oststraße zurückgelegt hat, die an der nordöstlichen Ecke des Südlichen Graslandes verlaufen – etwa in der Mitte zwischen Cyad und Geliendra –, wird das Land neben der Straße viel üppiger als um Syadtar, ja selbst grüner als die fruchtbaren Gebiete um den Ausbildungsstützpunkt in Kynstaar. Erwartet hat Lorn trockenes, eingerolltes graues Winterlaub, aber nun ist er von Grün umgeben. All seine Erwartungen in dieser Hinsicht werden übertroffen. Fyrad und der Südosten von Cyador sind wärmer, viel wärmer als das kalte Cyad, zumindest im Winter.
    Schweigend betrachtet Lorn die vorbeiziehenden Ortschaften und die gepflegten Siedlungen. Aber trotz all des Wohlstands, den die Häuser aus glasierten Ziegelsteinen zur Schau stellen mit ihren kunstvollen grünen Keramikwandschirmen, den makellosen Nebengebäuden aus Ziegel, den Holzstößen, die so genau aufgerichtet sind, dass jeder Buchhalter seine Freude daran hätte … trotz all dem fühlt sich Lorn irgendwie unwohl. Ist es, weil diese Häuser das wahre Cyador zeigen, cyadorischer wirken als die riesigen Gebäude aus Sonnenstein und Granit in der Hauptstadt? Oder weil diese Regelmäßigkeit nicht ganz zusammenpasst mit dem Chaos, auf das sie sich stützt? Oder gibt es noch tiefere Gründe?
    Lorn runzelt die Stirn und lässt seine Ordnungs-Chaos-Sinne ausströmen, hinaus aus dem Feuerwagen und weit über die behagliche Wärme der Chaos-Zellen im hinteren Teil des Fahrwagens hinaus.
    Nach dem, was er dort spürt, ist die Gleichmäßigkeit der Siedlungen, an denen der Feuerwagen ihn vorbeiträgt, nicht nur Schein. Und dennoch … irgendetwas ist nicht richtig. Oder kann es sein, dass sein Gefühl nicht übereinstimmt mit diesen gleichmäßigen Häusern und dem, was sie darstellen? Er kann das Chaos-Glas in seiner Tasche fühlen, als würde es darauf brennen, endlich herausgenommen zu werden. Lorn weiß, dass das Glas selbst kein Chaos enthält und nur als Verstärker dient.
    Er atmet tief und langsam ein, schließt die Augen und hofft, dass er noch ein wenig schlafen kann auf der langen Reise nach Geliendra.

 
II
     
    A ls der Kutscher die Pferde zügelt, wirft Lorn einen Blick auf die zwei Säulen aus Sonnenstein, die die Tore halten und breit genug sind, um drei Kutschen nebeneinander einfahren zu lassen. Dann sieht er
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