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Kohl des Zorns

Kohl des Zorns

Titel: Kohl des Zorns
Autoren: Robert Rankin
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Prolog
     
    Brentford erfreute sich an einem weiteren seiner tropischen Sommer.
    Obwohl es in Hounslow, Ealing und Chiswick ununterbrochen in Strömen regnete und die Schrebergärtner von Kew dazu übergegangen waren, Anglerstiefel und Südwester zu tragen, räkelte sich die Einwohnerschaft Brentfords in Liegestühlen und nippte an kühlen Drinks oder schlenderte in kurzen Hosen und mit Sonnenhüten auf dem Kopf über die historische Durchgangsstraße. Wie das in Brentford nun einmal so war.
    Für die Pendler, die jeden Tag über die Umgehungsstraße in Richtung der großen Metropole östlich von Ealing unterwegs waren, schien alles ganz normal. Reihen um Reihen roter Ziegeldächer, unter denen spätviktorianische Häuser Schutz fanden, ein antikes Gasometer, ein Wasserturm, ein paar Mietskasernen. Durchaus nichts Ungewöhnliches, hätte man meinen können, nichts, das Anlaß zu Staunen oder Verwunderung geboten hätte. Nur ein weiterer ganz normaler Vorort im Westen von London. Noch ein paar Hektar städtischer Bebauung.
    Aber nein.
    Brentford war mehr als das.
    Und obwohl es nicht leichtfiel, es mit Namen zu benennen, war es nichtsdestotrotz ganz deutlich zu spüren. Sogar sehr, sehr deutlich.
    Eines Morgens im Mai, kurz vor Sonnenaufgang, bog ein großes, schwarzes Automobil fortschrittlichen Designs und ausländischer Herkunft von der Great West Road ab, überquerte die Autobahnbrücke neben dem Mowlem-Gebäude und glitt lautlos in Richtung der Straßen von Brentford.
    Als es in der London Road angekommen war, wo das Arts Center seinen scharf umrissenen Schatten in den grauen Himmel reckte, hielt es am Straßenrand an. Eine eigenartig verkrümmte Gestalt in einer Chauffeurslivree sprang mit einer Karte in der Hand heraus.
    Nachdem sie die Karte sorgfältig im Licht einer Stiftlampe studiert hatte, klopfte sie zaghaft an ein undurchsichtig schwarzes Rückfenster. Das Paneel aus Glas glitt zischend nach unten. Der Chauffeur versteifte sich für einen Augenblick als eine Wolke schaler, abgestandener Luft in seine Nüstern gelangte. Er hüstelte vornehm in ein vorgehaltenes, parfümiertes Taschentuch und reichte dem unsichtbaren Passagier im Fond die Straßenkarte.
    »Die Stelle liegt genau unter diesem Gebäude, Sir«, sagte der Chauffeur. »Auf der Insel. Es ist die letzte von fünf. Jetzt besitzen Sie alle.«
    Aus dem Fond der Limousine erklang ein Seufzen, ein klagender, ganz und gar unirdischer Laut, gefolgt von einem aufgeregten Schnaufen wie aus Lungen, die längst verrottet waren.
    »Dann ist alles so, wie es sein soll«, zischte eine Stimme, die kaum mehr war als ein ersticktes Flüstern. »Dann werden wir den Plan heute in die Tat umsetzen.«
    Der Chauffeur tupfte sich den kalten Schweiß ab, der auf seiner Stirn zu perlen begonnen hatte, und nahm mit zitternder Hand die hingehaltene Karte wieder an sich. Selbst durch seine weißen Chauffeurshandschuhe hindurch spürte er, daß die Karte nun kalt und feucht war. Er verbeugte sich steif, kehrte in seinen Fahrersitz zurück und setzte das eigenartige Gefährt wieder in Bewegung.
    Die dünne Linie der Morgendämmerung am östlichen Himmel über Brentford wurde breiter, während die dunkle Limousine über die Kew Bridge davonfuhr und bald im Schatten des großen Gasometers verschwunden war.

Kapitel 1
     
    Die Chorknaben der Dämmerung beendeten ihre lautstarke Ode an den neuen Tag, als der Fahrer des Brentforder Merkur sein erstes freitägliches Bündel in die allgemeine Richtung einer gewissen Eckladentür warf.
    Auf dem Olymp nickten die Götter namens Schicksal über einem Ambrosiafrühstück einander einvernehmlich zu und erklärten den Tag offiziell für angebrochen.
    Norman schulterte das Bündel lokaler Wochenzeitungen und wuchtete es auf seine wurmzerfressene Ladentheke, wo es mit einem dumpfen Geräusch und in einer mächtigen Staubwolke landete. Der Eckladenbesitzer seufzte vor Vergnügen. Seit sein Ehegespons mit dem früheren Herausgeber des einheimischen Presseorgans durchgebrannt war, hatte er den Laden wunderbar herunterkommen lassen. Der Staub erweckte bei jedem verheirateten Mann in der Gemeinde Anflüge von Neid, und Norman, der begierig jegliches Vergnügen auskostete, das ihm seine unerwartete Rückkehr ins Junggesellentum bot, lebte, wie er die Sache sah, ganz und gar ›aus dem Vollen‹. Oben im Schlafzimmer verstaubte die Unterwäsche der letzten Woche auf dem Läufer vor dem Bett, und seine heutigen Exzesse, was Eleganz betraf,
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