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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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drehten durch; sie weinten und schlugen auf jeden ein, der sie ungewollt anstieß, um ihr bißchen Platz zu verteidigen. Die Älteren und Kranken, die zu schwach waren, um zu stehen, hockten sich hin und wieder hin, den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt.
    Sybil klammerte sich an Rachels Bein, als wäre es ein Rettungsfloß in einem tobenden Ozean. Ihre kleinen Lippen waren so stark angeschwollen, daß sie kaum noch sprechen konnte. Rachel strich ihr über das verfilzte Haar und fragte sich, wie lange der Mashiah sie noch leiden ließ. Viele der Kinder und der Alten waren bereits tot, ihre Leichen zu einem Haufen an der östlichen Wand aufgetürmt. Jedesmal, wenn der heiße Wind drehte und den Geruch verwesender Körper zu Rachel trieb, kam ihr gallige Magensäure hoch, und sie mußte die Nase mit dem Ärmel bedecken.
    Doch trotz all der Angst und Verzweiflung, die sie verspürte, hielt der Haß sie aufrecht und erfüllte sie mit Hoffnung. Ihr Verstand beschäftigte sich ununterbrochen mit Plänen, den Mashiah zu ermorden. Es sollte langsam und qualvoll geschehen – zehnmal schlimmer als die Pein, die ihnen jetzt widerfuhr.
    Adom erschien nur selten in der Öffentlichkeit, und dann nur unter dem Schutz der Wachen. Und immer, immer zusammen mit Ornias. Doch eines Tages würde sie ihm begegnen, wenn er verwundbar war.
    »O Gott. Misha? Misha!« jammerte ein alter, ausgedörrter Mann. Groß und spindeldürr stand er nur ein paar Schritte von Rachel entfernt, die Augen fest auf den Boden gerichtet. Sein schütteres graues Haar hing ihm über die Ohren herab. Rachel versuchte, ihren neugierigen Blick abzuwenden, doch es gelang ihr nicht.
    Eine junge Frau mit kurzem braunem Haar stand neben dem Mann und tätschelte ihm die Hand. »Schon gut, Daddy. Misha ist fortgegangen, um zusammen mit der Untergrundbewegung zu kämpfen. Es ist alles in Ordnung.«
    »Wirklich?«
    »Ja, Papa. Mach dir keine Sorgen, dadurch wird alles nur noch schlimmer. Ich rücke ein bißchen beiseite. Warum versuchst du nicht, dich hinzusetzen?«
    Doch am Spätnachmittag hatte der alte Mann den Verstand verloren. Er heulte: »Gamanten, ich sehe ein Meer von Blut, das über uns kommt! Ein Meer von brennendem Blut! Könnt ihr es nicht sehen?« Er deutete mit der Hand auf die Berge. In seinen aufgerissenen Augen flackerte der Wahnsinn. »O Gott, o Gott, wir können nicht entkommen!«
    Rufe und Schreie wurden laut, als die Menschen taumelnd und sich gegenseitig schubsend herauszufinden versuchten, auf was der alte Mann zeigte. Als sie nur Berge und Himmel entdecken konnten, wandten sie sich um und starrten ihn an.
    »Könnt ihr es nicht sehen? Was ist denn mit euch los?« Er fiel zu Boden, bedeckte den Kopf und zitterte, als würde er von einem epileptischen Anfall geschüttelt.
    Zuerst verharrten die Menschen in stummen Schrecken, doch als das Wehklagen des Alten in gräßliche Schreie überging, rief jemand: »Bringt ihn zum Schweigen! Ich halte das nicht aus!«
    Die Tochter ließ sich neben dem alten Mann niedersinken und strich ihm sanft über das Haar. »Bitte, Daddy, sei ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Da ist kein Meer von Blut. Du bist nur müde und …«
    »O mein Gott! Erbarmen! Hab Erbarmen!«
    »Er macht uns noch alle verrückt!« jammerte ein altes Weib. »Er soll still sein!«
    Die junge Frau versuchte, ihren Vater zu beruhigen, zog seinen Kopf auf ihren Schoß und schaukelte ihn sanft. »Papa, hör auf zu zittern, du überanstrengst dich sonst. Du mußt deine Kraft bewahren, sonst stirbst du wie der kleine Tommy. Du …«
    »Kannst du es nicht sehen«, flüsterte er gequält.
    »Am Himmel ist nichts, Daddy. Nur ein paar Wolken, mehr nicht. Es gibt dort nichts anderes.«
    Obwohl der alte Mann kaum noch Luft bekam, schrie er weiter. »Was ist mit euch los? Gamanten! Die Woge kommt von den Magistraten. Sie haben sie geschickt, um uns zu zerstören! Um Horeb zu Schlacke zu verbrennen und uns dazu! Nein! NEIN!«
    »Mir ist es gleich, wenn du ihn töten mußt«, rief ein junger Mann mit wildwucherndem Bart, »aber er soll ruhig sein!«
    Ein paar Jungen zogen den alten Mann vom Schoß seiner Tochter und verschlossen ihm mit ihren Händen den Mund, doch er schrie weiter. Wortlose Schreie der Panik drangen durch die zusammengepreßten Finger der Jüngeren, während die Augen des Alten auf den schweigenden blauen Himmel gerichtet waren.
    »Bringt ihn endlich zum Schweigen! Er soll ruhig sein!«
    Die Jungen schlugen den alten Mann, bis er still
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