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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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halbgeschlossenes Auge, bis diese ihre Lider senkte. Dann entspannte sich ihre Tochter und wurde zu einem schlaffen kleinen Bündel in Rachels Armen.
    Rachel schaukelte Sybil sanft hin und her, während es um sie herum kälter wurde. Außerhalb des Platzes heulte der Wind wie klagende Banshees durch die kalten, steinernen Straßen.
    Rachels Seele schrie auf, als sie sah, wie ein großer Nachtvogel nur Meter von ihr entfernt auf der Leiche eines Kindes landete und seine gräßliche Mahlzeit begann. Flatternde Flügel sandten einen kalten Luftzug durch ihr Haar. Sie hatte den Jungen nicht gekannt; dennoch überlief sie ein unkontrollierbares Zittern, als wäre der durch das Tier ausgelöste Windhauch der letzte Atemzug eines ihrer Lieben gewesen.
    Als sie aufschaute, sah sie die Wachen auf den Mauern. Im silbernen Schein des Sternenlichts leuchteten ihre Helme in einem geisterhaften Grau.

 
KAPITEL

2
     
     
    Die bucklige Gestalt in abgetragener schwarzer Kleidung stapfte mit gleichmäßigen Schritten über den feuchten Pfad. Zadok Calas, der Führer der gamantischen Zivilisation, war ein sehr alter Mann, dessen Haut gegerbt und dunkel verfärbt war von den Jahrhunderten, in denen die Winde kaum bewohnbarer Welten sie geschunden hatte. Seine fleischige Nase krümmte sich über breiten Lippen und betonte die schwarzen Augen, die unablässig die Bäume absuchten. Felsklippen ragten wie stumme Wächter über dem Pfad empor. An ihren gezackten Rändern flackerten Fackeln in der kühlen Nachtluft.
    Zadok schaute andächtig zu den Sternen empor. An heiligen Tagen schienen sie noch strahlender zu leuchten. Wärme erfüllte seine knochige Brust, eine Wärme, die von Erinnerungen genährt wurde und von der kleinen Hand, die sich in die seine geschoben hatte. Liebevoll drückte er die Finger des Jungen.
    »Ist dir auch warm genug, Mikael? Der Wind ist kalt und schneidend …«
    »Ja, Großvater. Aber während des Sighet ist mir immer warm.« Der Siebenjährige blickte auf. Seine braunen Augen leuchteten wie zwei Monde. Der Junge, der für sein Alter noch recht klein und unbeholfen war, schritt vorsichtig durch die Dunkelheit und warf nur gelegentlich einen Blick auf die von ihren Fackeln beleuchteten Menschen, die sich hinter ihnen durch die baumbestandenen Hügel bewegten.
    Zadok lächelte, als sie einen Hügelkamm erklommen und von dort aus zu der mächtigen Höhle hinabschauten, die sich an einer Seite der unter ihnen liegenden Klippe auftat. Sanftgoldenes Licht strömte aus dem Eingang, wurde durch die Bäume gebrochen und warf ein Flickenmuster aus Schatten auf den Boden.
    »Großvater?«
    »Was gibt’s, Mikael?«
    »Darf ich das Mea Shearim berühren?«
    »Eines Tages sicher. Aber nicht jetzt.«
    »Aber du hast gesagt, du gibst es mir, wenn ich alt genug bin. Warum darf ich es dann nicht einmal …«
    »Ich habe dir erklärt, warum. Erinnerst du dich nicht?« Zadok packte die Hand des Jungen fester, und gemeinsam gingen sie den Hügel hinab.
    Michael senkte den Blick und starrte auf die feuchte Erde zu seinen Füßen. »Ich erinnere mich daran, aber …«
    »Das dachte ich mir.«
    »Das Mea ist wie tausend Tore, nicht wahr, Großvater?«
    »Jedenfalls glauben wir, daß dies die Bedeutung der alten Worte ist«, antwortete Zadok. »Denn tausend Wege führen zum Garten der Wahrheit. Doch jedes Mea ist ein einzelnes Tor.« Er klopfte auf seine Brust, wo der Gegenstand warm und sicher ruhte.
    Die Dunkelheit verdichtete sich, und das Mondlicht spielte auf den Stämmen der Bäume und den gewundenen Ästen über ihren Köpfen. Mikael drängte sich enger an Zadok und klammerte sich wie ein kleines Kind an den fadenscheinigen Stoff seines schwarzen Ärmels.
    »Großvater«, sagte er sanft. »Großvater?«
    Zadok warf dem Jungen einen forschenden Blick zu. Mikael war hartnäckig. Wenn er etwas wissen wollte, ließ er nicht locker. »Ich höre.«
    »Darf ich es denn nur mal anschauen?«
    »Später. In Ordnung?«
    »Wenn ich es jetzt sehen kann, muß ich mir nicht merken, später noch einmal danach zu fragen.«
    »Du glaubst, du könntest es vergessen?«
    »Es wäre ja möglich.« Mikael blickte verdrießlich drein; seinen Augen war das Verlagen deutlich anzusehen.
    Zadok unterdrücke ein Lächeln und bemühte sich, streng dreinzublicken, gab diesen Versuch aber gleich wieder auf und zog die Kette aus seinem Hemd hervor. Er kniete sich ins nasse Gras und hielt den pendelnden Globus so, daß Mikael ihn betrachten konnte. Der kleine
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