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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Autoren: Harald Muellner
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anzunehmen, davon war er überzeugt;
auch wenn es dann wieder Augenblicke gab, in denen er daran zweifelte.
    »Hören Sie mir überhaupt zu?«, riss ihn die Stimme des Alten
aus seinen Gedanken.
    Roberts Blick hing noch immer an den augenfälligsten
Attributen der Kellnerin. »Äh …«
    »Dachte ich mir.«
    »Sagen Sie«, begann Robert in dem Versuch, dem Gespräch eine
andere Wendung zu geben, »was ist eigentlich Ihr Reiseziel?«
    Überrascht, wie zwei Triumphbögen wölbten sich die
Augenbrauen seines Gesprächspartners nach oben, als seien sie Teil des Forum
Romanums. Verblüffung starrte ihm aus dem Gesicht des alten Mannes entgegen. Weißes
Haar schien in gelichteten weißen Büscheln aus den Ohren zu sprießen und unterstrich
dezent seine fahle Physiognomie. Lange sagte er kein Wort, sah Robert nur an. Dieser
rutschte unruhig in seinem Fauteuil vor und zurück. Dann sagte er: »Mich dünkt,
heute schon einmal über Logik gesprochen zu haben. Aber das soll Sie nun in
keinster Weise beunruhigen, junger Freund. Rom wurde auch nicht an einem Tag
erbaut, so sagte man zumindest immer, und bisher habe ich noch nichts
Gegenteiliges gehört. – Ich nehme an, dasselbe wie Ihres. Soviel ich weiß,
fliegt das Schiff nur eine einzige Destination an, ohne Umwege oder
Zwischenstopps einzulegen. – Oder hatten Sie vor, ihre Großmutter auf Europa zu
besuchen?« Der Alte lachte herzlich.
    Robert versuchte gleichgültig auszusehen.
    »Bitte, für mich noch einmal dasselbe«, sagte er zur
Kellnerin und etwas leiser, sodass es Robert gerade noch verstehen konnte, »bevor
mir dieser junge Kollege hier beweist, dass meine Geduld nicht dieselben losen
Grenzen wie der Kosmos besitzt.«
    Robert fühlte sich auf dem Präsentierteller, was sich nicht
nur in einer seinen schmächtigen Körper durchflutenden Hitze und einer
Beschleunigung seines Herzschlages bemerkbar machte, sondern auch in
unkontrollierten Bewegungen seiner Arme und Hände. Er spürte seine Halsschlagader
pulsierend als violettes Kabel hervortreten. Sein Glas wäre ihm beinahe aus der
Hand gerutscht, die von einem celluloidartigen Schweißfilm überzogen war. Langsam
nervte ihn der Alte. Waren alle Alten so kompliziert? Warum mussten sie immer
alles besser wissen? War es überhaupt eine Frage des Alters oder eher eine des
Charakters, dass manche dachten, klüger, weiser und erfahrener zu sein? Oder wussten
die Alten tatsächlich manches besser? Unruhig hämmerte Robert gegen die
Armlehne. Trotz steigender Adrenalinkonzentration entschied sich Robert dafür
ruhig zu bleiben. Er wollte nicht mit Kraft gegen Kraft ankämpfen. Er wollte keinen
Streit entfesseln – zumindest nicht an diesem Abend.
    »Es tut mir leid. Das Bier drängt und ich möchte vor dem Zubettgehen
noch einiges zu der Apollo-Ära in der Bibliothek nachschlagen. Es hat mich
gefreut mit Ihnen zu plaudern.« Robert konnte im Gesicht des Alten sehen, dass
er ihm den letzten Satz nicht abkaufte. Es überraschte ihn nicht. Er war müde,
ausgelaugt, genervt. Genervt in erster Linie von der Konversation mit seinem
Mitreisenden, von dem er weder wusste, wer er war, noch wie er hieß, noch warum
er in seinem Alter diese beschwerliche Reise unternahm, die selbst für Robert
mittlerweile den Charakter einer Endlosschleife angenommen hatte und das,
obwohl sie noch nicht einmal ein Drittel der Entfernung überbrückt hatten. Die
Eintönigkeit des Fluges fing bereits an, sich in seinem Gemüt als Antagonistin breit
zu machen. Langeweile war seine schlimmste Feindin, eine schreckliche Person,
die nur von einem Sadistenehepaar gezeugt worden sein konnte. Auslauf gab es
keinen auf dem Schiff. Es war ein fliegendes Gefängnis. Ein winziger
Metallkäfig in einem Raum, der, wenn er rechts im Unendlichen verschwand, auf
einmal links im Unendlichen wieder auftauchte. So stellte er sich, zumindest
aufgrund seiner bescheidenen mathematischen Kenntnisse, einen unendlichen Raum vor.
Die Fluchtmöglichkeiten, die sich in einem Raum dieser Größenordnung boten,
gestalteten sich damit aber sehr bescheiden: Außer Lesen, per Film oder
holografischer Projektion in eine virtuelle Welt einzutauchen oder die Zeit auf
die altmodische Art mit Unterhaltung zu verbringen, fiel ihm im Augenblick
keine Möglichkeit ein, wie er der Tristesse und der Langeweile der Gegenwart
entfliehen hätte können. Vielleicht sollte er sich nach einem angenehmeren
Gesprächspartner umsehen; noch besser wäre eine Partnerin, die ihn mit ihrer
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