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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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hatte. Ihr wurde schummerig, das Zimmer verschwamm, und sie fühlte sich schwach. Ihre Knöchel waren geschwollen, und der Rücken tat ihr weh.
    Es ist wirklich nett von der Frau, dachte sie. Sie sah, was für eine Überwindung es Jule Tenbrock kostete, zwei schmuddelige Eindringlinge in ihrer sauberen Wohnung zu haben und trotzdem noch halbwegs höflich zu sein, aber es war ihr egal, sie wollte nur noch irgendwo sitzen, die Füße hochlegen, essen, duschen und schlafen.
    Die waren eigentlich für die Show, die Käse­cracker, sagte Jule Tenbrock, und Pola brachte halb bewusstlos noch heraus: Die Show mit dem Blumenservice.
    Jule seufzte und sagte, dann werde ich mal das Masala warm machen. Und während sie mit der ­Packung am anderen Ende ihres Wohnzimmers an der Mikrowelle beschäftigt war, gab Pola ihrem Hund unauffällig ein paar von den bleichen Dingern, die ihre Gastgeberin Käsecracker genannt hatte.
    Gutes Tier, flüsterte sie Zsazsa zu.
    *
    Timon Abramowski war noch nicht im dritten Stock angekommen, als sich seine Nasenflügel unruhig zu bewegen begannen.
    Es war ein ungewohnter Geruch im Treppenhaus, einer, der von weit her kam, aus einer anderen Zeit, und den er zwar nicht vergessen, aber doch seit Langem irgendwo tief in sich drinnen, in seinem Gedächtnis begraben hatte. Er hätte nicht gedacht, dass er ihn je wieder riechen würde. Er schloss die Augen und sog ihn ein.
    Abramowski hatte nicht immer im siebten Distrikt gelebt, er kannte den Geruch von Hunden, er blähte seine Nasenflügel weit auf, um noch mehr davon aufzusaugen, und spürte eine verrückte Lebenslust in sich aufsteigen; mit dem Geruch von Zsazsa kam der seines eigenen Hundes zurück und mit diesem der Geruch von Erde, von frisch geernteten Kartoffeln, von Zwiebeln und Knoblauch, die zum Trocknen vor den Häusern hingen. Zwischen dem dritten und dem vierten Stockwerk brach eine Geruchs­lawine auf Timon Abramowski hernieder, die all seine Sinne weckte, in der Lawine roch Abramowski frisches Brot, eine Suppe, die stundenlang vor sich hingeköchelt hatte, den modrigen Duft der Algen am Ufer des kleinen Hainegger Sees, Sauerkraut. Den Wind aus dem Wald. Bratkartoffeln.
    Bratkartoffeln, dachte er, während er seine Wohnungstür aufschloss und dann einen Moment lang offen ließ, um eine Brise hineinzulassen, bevor er die Tür wieder zumachte.
    Auch bei Abramowski wurde an diesem Oktoberabend die Konsole nicht angerührt, weder für die neue Show auf Kabel 7 noch für einen anderen Kanal oder sonst eine Unterhaltung, obwohl Abramowski wieder einmal einen Film auf dem Stick in seiner Tasche hatte, einen Sandalenfilm, früher Kubrick, der ihn das Vermögen von siebzig Punkten gekostet hatte. Für die siebzig Punkte hatte er immerhin drei Nachmittage drangegeben, um die Distrikt-Meile für das anstehende Oktober-Weinfest vorzubereiten.
    Siebzig Punkte finde ich ziemlich happig, hatte er gesagt, wie immer, wenn er sich von Rudi Tietsche einen Film auf den Stick laden ließ, und Tietsche hatte gesagt, tja, du kannst natürlich auch rüber­gehen zum Discount und dir was von denen holen. Abramowski hatte gesagt, schon gut, ich weiß ja; er hatte Tietsche seine Di-Card hingehalten und sich in drei Sekunden für diesen monumentalen ­Kubrick, von dem er natürlich wusste, dass er ihn im Filmdiscount nicht finden würde, seine drei Nachmittage Vorbereitung für das Weinfest abbuchen lassen. Drei Nachmittage, an denen er unzählige Fässer aus dem Lager gerollt und auf einer Sackkarre ins Gedränge der Meile gefahren hatte.
    In der Meile wimmelte es in solchen Zeiten von Ehrenamtlichen. Die einen schraubten Tischplatten auf die Fässer, um rustikale Stehtische daraus zu machen, die später mit Weinlaub, Kürbissen und Trauben auf Herbst dekoriert wurden, andere holten Mehl- und Kartoffelsäcke und die Strohballen aus der Requisite neben der City Hall, wo auch die Trachten- und Folklorekostüme für die Auftritte bei den Shows und den Festen eingelagert waren. Überall in der Meile standen Leute auf wackeligen Leitern und brachten Girlanden und Lichterketten an, in der Mitte wurde ein riesiger Grill aufgebaut, in der Nähe des Eingangs eine altmodische Küchenzeile.
    Abramowski mochte die Enge nicht, die vor den Festen dort herrschte, die Mischung aus Passan­­ ten und ungeschickten, hektischen Freiwilligen, die sich
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