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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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hindurchgefahren, er wusste, wovon er sprach, und sagte, das, was sie in den Nachrichten bringen, ist noch harmlos gegen die tatsächlichen Zustände, das ist nur die Spitze des Eisbergs. In Wirklichkeit traut sich da gar kein Reporter rein, weil keiner Lust hat, abgeknallt zu werden oder sich irgendwas einzufangen.
    Inzwischen sagte auch Jule Detroit, wenn sie von den Außenbezirken sprach; viele Bürger und Bür­gerinnen im siebten Distrikt sagten Detroit da­zu, ohne genau zu wissen, was das war. Dahinter fingen die Felder an, die manchmal im Fernsehen kamen, der Weizen, der Mais, der Raps, der Kohl, Felder, so weit das Auge reichte, die Gewächshäuser mit den Erdbeeren und Tomaten und die Labore, Fer­tigungsungszentren, Kühlhallen, die Schlachthöfe, Verladestationen, die gesamte Forschung und Versorgung.
    Jule schaute auf das Bündel vor ihr. Sie hatte noch nichts gesagt, weil man nichts sagen kann, wenn ein Wesen mit Hund im Treppenhaus sitzt und nicht weiß, wo es hinsoll. Es war schwer zu entscheiden, ob es eine Frau oder ein Mädchen war. Der Hund hatte aufgehört mit seinen Tönen, er hatte eine spitze Nase aus dem Mantel herausgestreckt, Jule sah zwei dunkle Schlappohren und einen Hals mit honigfarbenen, kurzen Haaren. Das Tier verfolgte die Situation mit wachsamen braunen Augen, aber sein Geruch wurde immer stärker und unangenehmer; unhygienisch, dachte Jule. Sie hielt den Lichtknopf mit dem Zeigefinger gedrückt, um nicht noch einmal mit diesen fremden Eindringlingen vor ihrer Wohnung im Dunklen stehen zu müssen, und fragte sich, was sie ausgerechnet von ihr wollten.
    Was wollen Sie hier, sagte sie schließlich.
    Weiß nicht, sagte das Wesen, sonst war nirgends offen, und hier war die Tür nicht eingerastet.
    Dieser Hausdienst, dachte Jule, aber in dem Moment hörte sie unten die große Doppeltür ächzen und kurz darauf die unregelmäßigen Schritte von Abramowski.
    Sie wusste, jetzt hatte sie nicht mehr viel Zeit.
    Im Treppenhaus roch es nach Tier. Jule spürte ­einen Anflug von Übelkeit und Unwillen. Was wollten die hier. Über der rechten Augenbraue des Wesens sah sie einen blutigen Riss. Vier Augen starrten ihr ins Gesicht, und Abramowski kam in großen Schritten nach oben.
    Mit der Ruhe im siebten Distrikt würde es vorbei sein. Sie würde ihrem Nachbarn nicht gut erklären können, wer dieses Wesen war, Wesen mit stinkendem Hund, also schloss sie rasch die Wohnungstür auf, legte einen Zeigefinger auf die Lippen, scheuchte die Frau mit dem Hund nach drinnen und machte die Tür wieder zu, bevor Abramowski den vierten Stock erreicht hatte.
    Dann legte sie das Ohr an die Tür und wartete, bis die Tür gegenüber geschlossen wurde.
    *
    Pola Nogueira stand in Jule Tenbrocks Flur. Sie wäre gern hineingegangen in das kleine Wohnzimmer, das sie vom Flur aus sehen konnte, vor allem hätte sie sich gern hingesetzt, aber sie traute sich nicht. Neben ihr saß ganz still der Hund. Beide muster­­ ten das cremefarbene Sofa und die dazu passenden cremefarbenen Sessel vor sich. Pola war dankbar, dass sie bei einer Frau gelandet waren, einer jungen Frau, die vermutlich ungefährlich war, bei Männern konnte man es nicht wissen, aber sie begriff schnell, dass das hier keine Lösung für länger sein würde.
    Höchstens einmal duschen, im Glücksfall baden, vielleicht etwas essen, dachte sie, und dann nichts wie weg.
    Sobald die Tür ihres Nachbarn zugefallen war, wurde Polas Gastgeberin hektisch, verschwand in ­einem kleinen Badezimmer und kam gleich darauf mit einer Sprühflasche wieder heraus. Dann machte sie ganz leise ihre Wohnungstür wieder auf, schlich auf Zehenspitzen hinaus und versprühte einen süßlichen Duft im Treppenhaus, schloss danach rasch ihre Tür und wurde dann erst wieder etwas ruhiger. Jule stand im Flur, horchte eine Weile nach draußen, aber da tat sich nichts mehr.
    Bio-Dekontamination, sagte sie dann.
    Bio-Dekontamination, wiederholte die Frau mit dem Hund ungläubig.
    Das Wort schien ihr von einem anderen Stern zu kommen, so lächerlich wenig hatte es mit dem Leben zu tun, das sie in den letzten Monaten geführt hatte, in der langen Zeit, seit ihre Großmutter gestorben war und sie Klein-Camen verlassen hatte und mit Zsazsa durch die endlosen Felder in Richtung Stadt unterwegs gewesen war, bis sie schließlich die Vororte
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